Wort für den Monat September 2004

Wenn der HERR nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn der HERR nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst. (Psalm 127,1)

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Prophet Mohammed soll einmal von einem Beduinen gefragt worden sein: "Was meinst du, kann ich mich auf Gott verlassen oder soll ich meine Kamele anbinden?" Antwort: "Vertraue auf Gott und binde deine Kamele an."

Gottvertrauen darf also kein Ersatz für eigene Vorsorge sein. Das soll diese kleine Anekdote zeigen. Wer nachts seine Kamele frei herumlaufen lässt, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie morgens nicht mehr da sind.

Das gilt auch für die Beispiele aus dem Monatsspruch: Wenn die Handwerker nichts tun und der Bauherr nicht dahinter her ist, passiert nichts. Gott zaubert keine Häuser herbei. – Wenn der Wächter es nicht für nötig hält, seinen Dienst zu tun, dann haben Angreifer und Verbrecher freie Hand.

Und trotzdem sehen wir gerade am letzten Beispiel: Der Dienstfleiß des Wächters allein macht's nicht. Er kann seine Augen nicht überall haben. Während er auf der Ostseite nach dem Rechten sieht, kann auf der Westseite unbemerkt ein Dieb einsteigen. Wie oft sind militärische Wachen als erste bei einem Angriff getötet worden! Und umgekehrt gibt es Geschichten, wo die Stadt gerettet wurde, obwohl die Wächter schliefen. Im alten Rom waren's Gänse, die zu schnattern anfingen, als die Gallier über die Mauern kletterten.

Das Leben ist ja weitaus komplizierter, als dass wir es in einfache Regeln fassen könnten. Die römischen Wächter haben sich nicht drauf verlassen, dass die Gänse sich schon melden würden, wenn jemand kommt. Sie waren leichtsinnig oder übermüdet. Weder die Gallier noch die Römer konnten ahnen, wie die Geschichte ausgehen würde.

So ist es ja auch, wenn wir ein Haus bauen. Der Bauherr kann noch so aufpassen und die Handwerker noch so fleißig sein, und trotzdem kann etwas dazwischen kommen, so dass alles umsonst war. Wenn die Firma Pleite macht, bleibt vorerst mal alles liegen. Unvorhergesehene technische Schwierigkeiten können die Vollendung des Baus verzögern, eine Naturkatastrophe oder ein Anschlag alles wieder zunichte machen.

Das Reaktorunglück von Tschernobyl soll dadurch zustande gekommen sein, dass ein paar Mitarbeiter Experimente machen wollten und daher das Sicherheitssystem ausgeschaltet hatten. Kleine Unwägbarkeiten haben schon oft Katastrophen ausgelöst – oder Übeltaten verhindert.

Absolute Sicherheit gibt es nicht. Wir sind zwar verpflichtet, alles zu tun, was in unsrer Macht steht, um ein gutes Werk zu vollenden (wie den Bau eines Hauses) oder um Verbrechen und Katastrophen zu verhindern (wie der Wächter). Aber wir sind nicht allmächtig und können nicht jedes Risiko ausschalten.

Gott beginnt mit seinen Aktivitäten manchmal, bevor wir überhaupt eine Gefahr ahnen. Wie oft sind wir bewahrt worden, ohne etwas zu merken. Gott bleibt weiter am Werk, auch wenn tatsächlich einmal etwas passiert ist. Er hilft uns durch, gibt uns neuen Mut und neue Kraft und führt schließlich alles zu einem guten Ende. Wichtig ist nicht, dass alles gut geht, was wir planen, sondern dass Gott mit uns zu seinem Ziel kommt und am Ende mit uns alles gut wird – im irdischen und im ewigen Leben.

Mit freundlichen Grüßen

H. Tischner