Wort für den Monat Dezember 2004

Ich freue mich im HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet. (Jesaja 61,10)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Gott als Gegenstand von Jubel und Freude? Wir reden und denken über Gott anders: Man kann stundenlang drüber philosophieren, ob es ihn gibt oder nicht. Von ihm steht in der Bibel, im Gesangbuch und in religiösen Schriften und wir singen die Lieder und lesen die Texte. Aber Gott als Gegenstand von Jubel und Freude, so kennen wir ihn nicht. Wieso sollten wir uns über Gott freuen? Was haben wir von Gott?

Auch wenn ich selbst nicht zu überschwänglichen Gefühlsausbrüchen neige, so bin ich doch froh dafür, dass Gott da ist. Dass ich das glaube, gibt mir Geborgenheit. Ich bin gewiss, dass mir nichts geschehen kann als das, was Gott geschehen lässt. Auch wenn's unangenehm ist, weiß ich doch, wo's herkommt. Das hilft mir, das Unvermeidliche zu tragen. Im Glauben an Gott bekommt alles einen Sinn: Die Welt, die Menschen, ich selbst und mein Schicksal. Auch wenn ich manches nicht verstehe, kann ich doch annehmen: Gott wird sich was dabei gedacht haben.

Mit Gott bin ich auch in der größten Einsamkeit nicht allein. Ich weiß: Er ist da, auch wenn ich ihn nicht sehe, aber er sieht mich, und ich kann mit ihm reden. Auch wenn er sich scheinbar lange in Schweigen hüllt, hört er doch zu und handelt, wenn es Zeit dazu ist. Er sieht mich aber auch dann, wenn ich Fehler mache. Nicht, um sie mir hinterher vorzuhalten und um mich dafür zu bestrafen, sondern er will mich davor bewahren, noch schlimmere Fehler zu machen und mich in meine Fehler zu verstricken. Wie oft habe ich den Eindruck, dass mich Gott wie an einer unsichtbaren Leine hält, die meine Freiheit zwar kaum einschränkt, die mich aber doch davon abhält, wegzulaufen.

Wie gesagt, ich bin froh und dankbar dafür und weiß das wohl zu schätzen; aber überschwänglicher Jubel? Liegt das nur an meiner Veranlagung?

Wenn wir den Monatsspruch in seinem ursprünglichen Zusammenhang bedenken, wird uns etwas klar, was bisher noch nicht zur Sprache kam: Gott ist nicht nur unsichtbar im Hintergrund da, sondern er handelt, wie uns der Prophet klar macht: Ein Menschenalter war es her, da hat er seinem Volk mal kräftig auf die Finger hauen müssen. Oder anders ausgedrückt: Sie wollten's nicht anders haben; sie haben alle Warnungen in den Wind geschlagen und es drauf angelegt, in ihr Verderben zu rennen. Da kann Gott sehr hart sein. Er hindert uns nicht dran und lässt uns unsre Freiheit. Er hindert uns nicht daran, unsere eigenen Wege zu gehen, und er hält uns auch nicht davon ab, uns selber unglücklich zu machen. Aber er nagelt uns nicht auf unsre Fehler fest. Das durfte auch der Prophet erfahren, von dem unser Monatsspruch stammt. Er gibt zu: Wir haben unsre Strafe bekommen; aber jetzt, wo's passiert ist, da wird Gott plötzlich aktiv und tut alles, um uns aus dem Schlammassel zu befreien, in den wir uns reinbegeben haben.

Israel hat das vor zweieinhalbtausend Jahren durchgemacht; sie haben erlebt, wie Gott uns gewähren lässt und uns anschließend doch wieder zurechtbringt. Unser eigenes Volk hat vor 60 Jahren Ähnliches erlebt. Und sicher kann der eine oder andere von uns eine Geschichte aus seinem eigenen Leben erzählen, wo's ihm genauso gegangen ist.

Wenn ich an mein eigenes Leben zurückdenke, dann bin ich geneigt, in dem einen oder anderen Fall die vornehme Zurückhaltung aufzugeben und lauthals in Jubel auszubrechen

Ich wünsche dir eine gesegnete und freudenreiche Advents- und Weihnachtszeit.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner