Wort für den Monat August 2005

Er ist der lebendige Gott; er lebt in Ewigkeit. Sein Reich geht niemals unter; seine Herrschaft hat kein Ende. (Daniel 6,27b)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Regierungen werden alle vier Jahre neu gewählt. Selten hält es ein Bundeskanzler länger als acht Jahre aus. Fester als die Sessel heutiger Politiker stehen die Throne in den Monarchien. Die Dynastie der Habsburger zum Beispiel hat Teile Europas seit dem 12er-Jahrhundert bis 1918 beherrscht. Dann war auch ihre Zeit abgelaufen.

In diesen Kategorien denkt das Buch Daniel, dem der Wochenspruch für August entnommen ist: Die Juden leben Mitte des 1er-Jahrhunderts v. Chr. in einer schlimmen Zeit. Der syrische König Antiochus, dem sie unterstehen, versucht mit Gewalt die jüdische Religion abzuschaffen. In dieser Zeit kommt ein älteres Buch zu neuen Ehren, das sich auf einen sagenhaften Weisen der Vorzeit, Daniel, beruft. Die Handlung spielt ein paar Jahrhunderte vorher, während der "babylonischen Gefangenschaft", als die Vorfahren der Juden nicht nur unter fremder Herrschaft, sondern sogar in einem fremden Land leben mussten und mancherlei Repressalien ausgesetzt waren. Das Buch macht den damaligen Lesern klar:

  1. Man kann auch in einem fremden System leben und seinen Glauben praktizieren, wenn man sich nicht abkapselt, sondern bereit ist mitzuarbeiten, ohne seinen Glauben zu verraten. Der gefangene Judäer Daniel steigt in die höchsten Ämter auf und findet das Wohlwollen seiner königlichen Chefs: eine deutliche Absage gegen engstirnigen Nationalismus. Daniel wird zwar von verschiedenen Seiten angefeindet, aber er bringt erst den babylonischen Großkönig Nebukadnezar, dann den persischen Schah Darius dazu, seinen Glauben nicht nur zu respektieren, sondern sogar staatlich anzuerkennen (davon handelt der Monatsspruch). Historisch nicht korrekt, aber im persischen Reich gab's immerhin Religionsfreiheit.
  2. Tatsächlich innerhalb weniger Generationen hat im Orient dreimal die Vorherrschaft gewechselt: erst die Assyrer, dann die Babylonier, dann die Perser. Das persische Reich wurde schließlich von Alexander erobert. In seiner Tradition stand Antiochus. Historische Erkenntnis also: Menschliche Staatsgebilde halten nicht ewig, sondern sind zeitlich begrenzt. Auch die Herrschaft des Wüterichs Antiochus sollte ein Ende haben.
  3. Im zweiten Teil des Danielbuchs wird dieses Thema breit dargestellt in verschiedenen Visionen, die nur für Eingeweihte verständlich sind. Hauptaussage: Regierungen und Reiche sind vergänglich; die Politiker müssen sich eines Tages vor dem himmlischen Richter verantworten. Gottes Plan: An die Stelle der oft sehr bestialischen menschlichen Reiche, symbolisiert durch wilde Tiere, wird die humane, menschliche Herrschaft Gottes treten, symbolisiert durch die Gestalt des Menschensohns. Dessen Herrschaft wird kein Ende haben, wie im Monatsspruch gesagt.

Jesus hat dieses Thema zum Inhalt seiner Verkündigung gemacht: Das Reich Gottes, von dem Daniel träumt, hat angefangen. Jesus versteht sich als Menschensohn, ein Himmelswesen. Im Johannesevangelium diskutiert Jesus mit Pilatus seinen Herrschaftsanspruch und stellt fest: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt." Jesus hat seinen Daniel gründlich studiert.

Mit "Herrschaft" und "Reich" können wir Modernen nichts mehr anfangen. Diese Wörter sind seit 1918 und 1945 unmöglich geworden. Wie sollen wir denn heute den Monatsspruch verstehen? Sagen wir's so: Jesus hat der Liebe universale Geltung verschafft. Gott ist Liebe und wenn wir lieben, ist Gott wirksam oder "herrscht" Gott. Das hat Jesus gewollt, das haben die Apostel bestätigt. Setzen wir's um in unser Leben und in unsre kleine Welt!

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner