Sieben Fragen zur Bibel

Für Christen ist die Bibel die wichtigste Richtschnur im Leben. Darauf hat u.a. Martin Luther sehr deutlich hingewiesen. Selbst auf dem Reichstag in Worms hat er sich auf die Bibel bezogen und einen Widerruf seiner Schriften abgelehnt. Immer wieder erscheinen aber Bücher, die die Autorität der Bibel untergraben wollen (z.B. "Verschlusssache Jesus"). Da heißt es dann, sie sei unzuverlässig, unvollständig, falsch übersetzt, an manchen Stellen bewusst verändert usw. Wir sollen uns dadurch nicht verunsichern lassen. Unser langjähriger Vorsitzender, Pfarrer i.R. Heinrich Tischner, hat nachfolgend als Antworten auf sieben Fragen die Bedeutung der Bibel für uns dargestellt:

1. Ist es wahr, dass die Bibel Gottes Wort ist?

Im Prinzip nein.

Nach den eigenen Angaben der Bibel hat Gott nicht geschrieben oder nur in ganz wenigen Ausnahmefällen diktiert, sondern er hat sich Menschen offenbart, die daraufhin geredet haben. Jesus zum Beispiel hat außer ein paar Zeichen in den Sand kein einziges Wort aufgeschrieben. Und trotzdem glauben wir, dass er Gottes Wort in Person war.

Dass trotzdem Einiges aufgeschrieben worden ist, war in den meisten Fällen eine Notlösung: Jeremia musste schreiben, weil er Redeverbot hatte (Jeremia 36). Die Evangelisten haben nach jahrzehntelanger mündlicher Predigt endlich geschrieben, damit die Originalerinnerungen der Apostel nicht vergessen gingen. Paulus musste schreiben, weil er dauernd auf Reisen war und mit den Gemeinden Kontakt halten wollten. Der Seher Johannes musste die Offenbarung schreiben, weil er nicht mehr in seinem Dekanat Ephesus predigen durfte…

Die Bibel enthält nicht Gottes unmittelbares Wort, sondern berichtet, wie sich Gott den Propheten und Jesus offenbart hat. Sie alle haben nicht wie ein heutiger Prediger erst geschrieben und dann vorgelesen, sondern sie haben erst geredet. Geschrieben wurde oft sehr viel später.

2. Ist es wahr, dass die Bibel alles über Israel, Jesus und das frühe Christentum berichtet?

Im Prinzip nein. Denn

  1. es ist unmöglich "alles" zu berichten. Wir kennen zum Beispiel von Jesus aus der Zeit seiner Geburt und seiner Taufe nur eine Geschichte, die vom zwölfjährigen Jesus. Wir wissen, dass er Schwestern hatte, aber nicht, wie sie hießen. Wir wissen nicht, ob Paulus in Rom wieder frei gekommen ist. Was wir nicht aus der Bibel oder außerbiblischen Quellen erfahren, können wir nicht wissen und brauchen uns auch nicht drüber den Kopf zu zerbrechen.
  2. Es ist auch bei weitem nicht alles, was in dieser Zeit geschrieben wurde, erhalten. Die Königsbücher deuten zum Beispiel an, dass Näheres über die einzelnen Könige in der offiziellen Hofchronik nachzulesen sei. Paulus hat nach eigenen Angaben zwischen dem 1. und 2. Korintherbrief einen weiteren Brief nach Korinth geschrieben, ferner einen nach Laodicea. Die Schriften sind verloren gegangen.
    Und doch: Es ist gar nicht nötig alles zu wissen. Was wir für unsre ewige Seligkeit wissen müssen, steht in der Bibel: Gott ist gnädig und barmherzig und nimmt uns an, wie wir sind, trotz unsrer Sünden. Dafür hat sich Jesus mit Wort und Tat und seinem ganzen Leben und Sterben verbürgt. Mehr brauchen wir wirklich nicht zu wissen und haben ein ganzes Leben zu tun, um das zu begreifen.

3. Ist es wahr, dass uns die Bibel sagt, wie wir unser Leben gestalten sollen?

Im Prinzip ja.

Aber es ist unmöglich, die Anweisungen von vor über 2000 Jahren in unsre Zeit und in unser Leben wörtlich umzusetzen.

Das schaffen noch nicht einmal die Juden, die sich doch bemühen die Thora zu befolgen. Zum Beispiel stehen in der Thora Opfergesetze, die die Juden nicht befolgen können, weil sie keinen Tempel mehr haben.

Oder: Jesus hat seine Jünger zu zweit auf Predigtreisen geschickt, ohne Gepäck, ohne Kleider zum Wechseln und ohne Proviant: Sie fanden unterwegs immer jemand, der ihnen weiterhalf. So hat man es auch in den ersten Jahrzehnten nach Jesus praktiziert. Dann aber rissen Missbräuche ein. Zu viele angebliche Wanderprediger haben sich bei den Gemeinden durchgefressen. Folge: Die kirchlichen Autoritäten mussten schließlich verbieten, was doch Jesus selbst angeordnet hatte.

4. Ist es wahr, dass die Bibel ergänzt werden muss?

Im Prinzip nein.

Staatliche Gesetze müssen dauernd dem tatsächlichen Leben angepasst werden. Da treten neue Tatbestände auf, die einer gesetzlichen Regelung bedürfen (zum Beispiel Computer-Kriminalität). Andere Vorschriften sind hinfällig, weil die damaligen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind (zum Beispiel schulfrei an Kaisers Geburtstag) oder weil sie Unrecht waren (zum Beispiel die Rassengesetze der Nazis).

Die Bibel ist kein Gesetzbuch, sondern nach Meinung unsrer Väter Regel und Richtschnur für unser Glauben und Leben. Das heißt, wir können zwar nicht alles so machen, wie es in der Bibel steht. Aber wir müssen ständig danach fragen, ob das, was wir tun, reden und denken noch mit den Grundsätzen des Neuen Testaments übereinstimmt. Oder nach Martin Niemöller: "Was würde Jesus dazu sagen?"

5. Ist es wahr, dass es andere Schriften gibt, die für uns maßgeblich sind?

Im Prinzip nein.

Da aber die Bibel immer wieder neu ausgelegt werden muss, halten sich die einzelnen Glaubensgemeinschaften in der Tat an weitere Traditionen, Grundsätze, Auslegungen und Bekenntnisse.

Diese Traditionen zu achten gebietet der Respekt vor unsern geistlichen Vätern. Wir müssen nicht jedes Mal neu das Rad erfinden, sondern können aufbauen auf dem, was Andere vor uns geleistet haben. Aber auch sie müssen sich messen lassen an dem, was in der Bibel steht. Die Überlieferungen sind Auslegungen der Bibel und haben nicht denselben Rang wie sie. Sie sind wie die staatlichen Gesetze, die immer wieder überprüft werden müssen, ob sie mit dem Grundgesetz übereinstimmen.

6. Ist es wahr, dass neue Offenbarungen die Bibel ergänzen müssen?

Im Prinzip nein.

Denn Jesus ist Gottes endgültige Offenbarung und dem hat er nichts hinzuzufügen.

Das schließt aber nicht aus, dass Gottes Geist auch heute noch wirksam ist in der Weitergabe der biblischen Überlieferung, in der Bibelwissenschaft, bei Bibelübersetzung, Auslegung, privater Bibellese, in der aktuellen Verkündigung.

Das schließt auch nicht aus, dass auch heute noch Menschen, getrieben vom Geist Gottes, Worte sagen und schreiben, die gerade jetzt gesagt und geschrieben werden müssen.

All das muss sich aber immer wieder messen lassen am "Grundgesetz" der Bibel.

7. Ist es wahr, dass sich Jesus auch heute noch zu Wort meldet?

Nein, auf keinen Fall.

Denn nach seinen eigenen Worten wollte er sich den Jüngern nach der Himmelfahrt nicht immer wieder neu offenbaren, sondern er wollte ihnen den "Tröster", den heiligen Geist schicken, der sie in der Wahrheit leiten sollte. Der heilige Geist redet auch heute noch zu uns und durch uns. Aber Jesus hat nicht gesagt, dass er sich vor dem Jüngsten Tag nochmals offenbaren wollte.

Im Gegenteil, er hat uns gewarnt vor Menschen, die behaupteten: "Ich bin der Christus."

Heinrich Tischner