Wort für den Monat Juni 2006

Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen! (Galater 5,1)

Liebe Leserin, lieber Leser,

dicke Bücher könnte man füllen mit dem, was über Freiheit alles gesagt und geschrieben worden ist. Ich begnüge mich mit ein paar Liedtexten: "Wie viele Völker sind heut noch nicht frei und möchten es so gerne sein. … Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind…" – "Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand…" – "Die Gedanken sind frei…"

Hier geht es um die politische Freiheit: Kein Volk soll ein anderes unterjochen und kein Tyrann soll die Grundrechte der Menschen beschneiden. Jede Nation hat das Recht auf Selbstbestimmung und jeder Einzelne das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Das sind die beiden wichtigsten Grundsätze unserer modernen Welt. Viel Blut und Tränen hat es in den letzten 200 Jahren gekostet, diese beiden Freiheiten zu erkämpfen, bis in unsere Zeit. Negative Begleiterscheinungen: Straßenschlachten, Terror, Krieg. Was haben Nationalismus und Individualismus sonst noch angerichtet? Ich frage mich, ob wir da 200 Jahre lang falschen Idealen gehuldigt haben.

Moderne Liedtexte besingen eine andere Freiheit, "völlig schwerelos von der Erde" abgehoben zu sein und "über den Wolken … die Freiheit wohl grenzenlos" zu genießen. Obwohl man ja in einem Flugzeug oder Raumschiff ziemlich eingeengt sitzt. Es geht hier um die Verwirklichung des alten Menschheitstraums, fliegen zu können, nicht im technischen Sinn, sondern abzuheben, sich von den Sorgen und Mühen des Alltags zu befreien, in den Himmel zu kommen. Neulich überkam mich die Phantasie, wie es wäre ein Engel zu sein: ein paar kräftige Flügel auf dem Rücken zu haben und mich mit starken Schwüngen wie ein Adler in die Luft zu erheben – ein irres Gefühl, abheben, loslassen, drüber schweben zu können. Auch dieser Traum hat in unsrer Zeit verhängnisvolle Folgen gehabt. Mit Drogen sind nicht nur Aufschwünge in schwindelnde Höhen möglich, sondern auch Sturzflüge und katastrophale Bruchlandungen. Also lieber nicht und die Finger weg. Bleiben wir mit beiden Beinen auf der Erde. Engel werden wir noch früh genug und haben eine ganze Ewigkeit zum Fliegen Zeit.

Die einen erkämpfen ihre Freiheit, die anderen begnügen sich damit, dass die Gedanken ja frei sind: "Und sperrt man mich ein in finstere Kerker, das alles sind rein vergebliche Werke, denn meine Gedanken zerbrechen die Schranken und Mauern entzwei. Die Gedanken sind frei." Also eine innere Freiheit, keine äußere. Aber was nützt die Gedankenfreiheit, wenn man nicht frei seine Meinung sagen darf? Muss nicht ein eingesperrter Geist genauso verkümmern wie ein Gefangener in "finsteren Kerkern"? Das Lied kam Ende des 17er-Jahrhunderts auf. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit konnte erst nach langen Kämpfen errungen werden.

Auch Paulus schreibt von der Freiheit, und zwar von der inneren: "Zur Freiheit hat euch Christus befreit." Äußerlich hat man nichts davon gemerkt. Die Christen blieben weiterhin römische Untertanen, zum Teil sogar Sklaven, teilweise völlig oder doch weitgehend rechtlos. Paulus selbst verbrachte einen Teil seines Lebens hinter Gittern. Und trotzdem fühlte er sich frei und nahm sich das Recht heraus, freimütig zu reden und seinen Galatern auch mal den Marsch zu blasen. "O ihr unverständigen Galater, wer hat euch betört?" Christus hat uns frei gemacht vom jüdischen Gesetz, warum lasst ihr es euch wieder auferlegen? Das war das Thema der vorigen Andacht, ich möchte das nicht weiter ausführen.

Paulus nahm sich auch das Recht heraus, vor ganz hohen Tieren zu reden und dabei kein Blatt vor den Mund zu nehmen, ob in aller Freundschaft wie gegenüber dem Statthalter Sergius Paulus auf Zypern oder als Gefangener gegenüber den zuständigen Behörden. Er gibt uns damit ein Vorbild, wie wir auch heute unsere Freiheit gebrauchen können: Mach den Mund auf. Wenn du wirklich was zu sagen hast, wirst du auch gehört. Diese Freiheit hast du auf jeden Fall.

Mit freundlichen Grüßen

H. Tischner