Monatsspruch November 2007

Wer das Gute tun kann und es nicht tut, der sündigt. (Jakobus 4,17; nach der Einheitsübersetzung)

Liebe Leserin, lieber Leser,

ein abschreckendes Beispiel, wie man den Bibeltext verdrehen kann, indem man die Formulierung "modernisiert": Luther übersetzt originalgetreu: "Wer da weiß Gutes zu tun und tut's nicht, dem ist's Sünde".

Was ist der Unterschied? "Ich weiß Gutes zu tun", d.h. ich weiß, wo ich etwas Gutes tun kann, selbstverständlich im Rahmen meiner Möglichkeiten. Ich spende zum Beispiel für die Flutopfer in Afrika. Das ist nicht "das Gute" oder gar "das Beste", vielleicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber ich habe getan, was ich konnte.

Dagegen: "Ich kann das Gute tun". Besser wäre vielleicht, etwas gegen den Klimawandel zu tun, sicher habe ich Möglichkeiten, aber ich weiß gar nicht, was ich alles kann und ich weiß erst recht nicht, was "das Gute" in diesem Fall ist.

Also sündige ich, wenn ich meine unbekannten Möglichkeiten nicht ausschöpfe und nicht entschlossen gegen den Klimawandel vorgehe? Dann bin ich dran schuld, wenn demnächst ein Unwetter überm Odenwald niedergeht und das Gersprenztal unter Wasser setzt, bloß weil ich mich vor 25 Jahren geweigert hatte, mich zum Umweltpfarrer ausbilden zu lassen? Wer weiß, vielleicht hätte ich etwas erreichen und den Klimawandel stoppen können? Aber hätte ich nicht noch mehr gesündigt, wenn ich deswegen meine Aufgaben in Gemeinde und CVJM vernachlässigt hätte?

Was ist überhaupt "das Gute"? Wie oft habe ich mich bemüht, es richtig zu machen und hinterher war's grad falsch!

Schlimm wäre es, wenn ich eine gewöhnliche Sünde beginge wie Diebstahl, Mord oder Ehebruch. Schlimm ist es genauso, wenn ich etwas tue, was an sich nicht gut oder böse, in diesem Fall aber falsch ist. Schweigen ist weder gut noch böse, manchmal ist es besser den Mund zu halten und sich seinen Teil zu denken. Aber manchmal wäre es besser den Mund aufzumachen und das zu sagen, was jetzt gesagt werden muss.

Ich glaube ja nicht, dass Gott drüber peinlich Protokoll führt und mir am Jüngsten Tag alles haargenau vorrechnet. Er ist nicht kleinlich, sondern großzügiger, als wir's uns vorstellen können. Es ist schlimm genug, wenn ich mir selbst hinterher Vorwürfe machen muss: "Warum hast du nichts gesagt?" Oder auch: "Warum hast du nicht den Mund gehalten?"

Kleine Kinder müssen wissen, was geboten und was verboten ist. Große Kinder machen sich Gedanken über Sünden und gute Taten. Auch das ist Kinderkram. Ich versuche mich so zu verhalten, dass ich in Harmonie mit Gott und seiner Schöpfung lebe. Das Leben ist viel zu kompliziert, als dass man es nach dem Schema "Sünde – nicht Sünde" reglementieren könnte. Ich halte mich daher lieber an das Liebesgebot Jesu und den Grundsatz, des Kirchenvaters Augustin: "Ama et fac quod vis" – Liebe und tu, was du für richtig hältst.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner