Monatsspruch August 2008

Siehe, Kinder sind eine Gabe des HERRN, und Leibesfrucht ist ein Geschenk. (Psalm 127,3)

Liebe Leserin, lieber Leser,

da hat Luther ja ganz schön gemogelt bei seiner Übersetzung. Wörtlich muss es heißen: "Da, Söhne sind ein Erbe Jahwes, ein Lohn ist die Frucht des Mutterleibes." Alles klar?

Das ist zwar richtig übersetzt, aber missverständlich und daher falsch. Der Psalm meint nicht: "1. Söhne gehören zum Nachlass Gottes. 2. Die eifrigsten Frommen werden mit vielen Kindern belohnt."

"Erbe", damit ist nicht das gemeint, was die Oma hinterlassen hat und in gleichen Teilen auf die Enkel aufgeteilt wird, sondern der Familienbesitz, der von den Vorfahren mühsam aufgebaut und an die nächste Generation weitergegeben wird, etwa ein Bauernhof oder eine Firma.

Die Bibel denkt sogar noch weiter: Grund und Boden ist auch kein Familienbesitz oder Gemeineigentum, sondern er gehört Gott, und der hatte das Land den einzelnen Familien leihweise zur Verfügung gestellt. Sie durften es nutzen und mussten es pflegen, aber sie konnten es nicht veräußern, es sollte auch den folgenden Generationen zur Verfügung stehen.

Das entspricht etwa dem mittelalterlichen Lehen bei uns: Grund und Boden gehörten ursprünglich dem König, der gab das Land an seine Vasallen als Lohn für ihre Dienste weiter. Auch sie konnten es nicht veräußern oder vererben, sondern wenn der Vasall starb, fiel das Lehen wieder an die Krone und der Nachfolger musste sich von seinem Herrn das Land neu zusprechen lassen.

Wenn wir noch bedenken, dass "Lohn" in diesem Fall keinen neuen Gedanken einführt, sondern ein anderes Wort für "Erbe" ist, dann können wir auch zusammenfassen: "Kinder sind ein Lehen Gottes."

Das bedeutet:

  1. Unsre Kinder sind LEHEN. Sie gehören nicht uns, sondern Gott. Sie sind uns nur eine Zeitlang anvertraut, aber eines Tages müssen wir sie wieder zurückgeben, entweder wenn sie vorzeitig sterben oder indem wir sie loslassen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
  2. Kinder werden heute oft als Ergebnis von "Familienplanung" oder als "Betriebsunfälle" angesehen. Wenn sie aber eine GABE GOTTES sind, dann hat sich Gott etwas dabei gedacht, dass er uns diese Schätzchen und Nervensägen geschenkt, aufgedrängt, vorenthalten oder wieder genommen hat. Das Leben unsrer Kinder und unser eigenes bekommt durch Gottes Absicht einen Sinn, auch wenn wir ihn nicht immer gleich verstehen.
  3. Kinder sind ERBE, also materielles Vermögen. Sie kosten erst mal eine Menge Geld, weshalb manche sie als unrentabel betrachten und nur das Loch in der Haushaltskasse sehen. Oft ist uns nicht klar, dass diese Aufwendungen Investitionen für die Zukunft sind: Weil die Eltern ihre Kinder ernährt hatten, als diese noch klein waren, müssen die erwachsenen Kinder für ihre alt gewordenen Eltern sorgen – ob durch Generationenvertrag und Rente oder wie in alter Zeit durch persönliche Fürsorge.

Jesus und den ersten Christen waren die leiblichen Nachkommen und der Familienzusammenhalt gar nicht so wichtig. Jesus setzt an die Stelle der leiblichen Familie die geistliche Familie der Gemeinde (Markus 3,35) und an die Stelle der leiblichen Abstammung die Gotteskindschaft (Johannes 1,12+13).

Was würde Jesus dazu sagen, dass heute die Renten nicht mehr gesichert sind und die Alten länger arbeiten müssen? Und dass die Jungen vielleicht deshalb keine Arbeit finden und nicht wissen, wie sie ihre eigene Rente finanzieren können? Ich kenne seine Antwort nicht, aber er würde wohl kaum sagen: "Alles, wie es früher war, ist christlich", sondern "Lasst euch was Neues einfallen, Gott hat Wege für uns, die wir uns kaum vorstellen können. Findet einen Weg, der in die Zukunft führt."

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner