Monatsspruch Februar 2011

Auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. (Römer 8,21)

Liebe Leserin, lieber Leser,

"wenn die Christen erlöst wären, müssten sie erlöster aussehen", soll mal jemand gesagt haben. Ja was sollen wir denn tun? Dümmlich grinsend durch die Gegend laufen, damit wir "erlöst" und glücklich aussehen? Das wäre doch Heuchelei, genau wie das penetrante "Cheese"-Zähnefletschen auf den Fotos. Das Leben ist ernst. Die Christen, die mir imponiert haben, waren ernste Menschen.

Wenn jemand ein sonniges Gemüt hat, ist das eine Gabe Gottes. Aber nicht jedem ist sie gegeben. Wer nach dem Motto leben will "Immer fröhlich, immer fröhlich, alle Tage Sonnenschein", der wird nicht fröhlich, sondern lustig oder sogar albern. Gezwungenes Glücklichkeit oder Fröhlichkeit ist nicht echt. Sei doch einfach du selbst mit deinen Höhen und Tiefen. Und sei gewiss, dass Gott bei dir ist, egal, wie deine Stimmung ist, und was dein Herz dir vorlügt. Denn Gott ist größer als unser Herz.

Aber ich sollte ja was über den Monatsspruch schreiben: Auch die außermenschliche Kreatur wartet sehnsüchtig darauf, dass sie erlöst wird. Du liebe Zeit, Bruder Paulus, wie stellst du dir denn das vor? Wenn es kein Werden und Vergehen, kein Sterben und neues Leben mehr gibt, dann muss ja wohl die Zeit stehen bleiben, denn deren Wesen ist der stete Wandel. Dann hätten wir eine erstarrte Welt wie im Märchenschloss von Dornröschen, wo für hundert Jahre sich nichts mehr verändert, das Feuer im Herd einschläft und der Koch nicht mehr imstande ist, dem Küchenjungen eine runterzuhauen. Gut für das Bürschchen, da braucht es nicht zu leiden. Das kann doch keine Erlösung sein. Das ist ein ewiger Schlaf, Tod auf Probe.

Dann kommt der Prinz, küsst das Mädchen und alles erwacht wieder zum Leben. Das Feuer prasselt weiter und der Küchenjunge kriegt doch noch seine Ohrfeige. Nur nicht ganz so heftig, weil der Schwung weg ist. Erlösung ist hier nicht die Erstarrung oder der Tod, sondern ein Leben in neuer Qualität. Das sehen wir an der Prinzessin: Vor lauter Angst vor dem Fluch der bösen Fee hatte der König alle Spindeln aus seinem Reich verbannt. Das waren Stäbe, auf denen das gesponnen Garn aufgespult wurde. Ohne Spindeln kam die Textilproduktion zu Erliegen. Das ganze Leben im Schloss erstarrt unter dem Diktat einer unsinnigen Vorschrift – Paulus hätte gesagt: unter der Knechtschaft des Gesetzes. Nur einer von draußen kann das Leben wieder in Gang bringen: Der Prinz kämpft sich mit dem Schwert durch das Gestrüpp und erweckt die Prinzessin mit einem Kuss aus ihrem Todesschlaf, und damit das ganze Schloss. Das Leben geht weiter, aber nichts ist mehr wie früher. Das Spindelverbot hat ausgedient, die Braut wird vom Prinzen heimgeführt und ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt: nämlich zu spinnen. Das war in der vorindustriellen Zeit die Aufgabe der Frauen. Märchenprinzessinnen machten keine Ausnahme.

Von Gott oder Jesus ist in diesem Märchen keine Rede, sondern von guten und bösen Feen und der Macht des Schicksals, ganz und gar unchristlich, fast heidnisch. Und trotzdem atmet diese Geschichte den Geist des Christentums. Es ist wie ein Gleichnis für die Erlösung und das 8. Kapitel des Römerbriefs. Die Erlösung besteht darin, dass einer von außen in diese Todeswelt einbricht. Der Kuss der Liebe erweckt die erstarrte Prinzessin und das ganze Schloss zu neuem Leben. Die Erlösung für uns und die ganze Schöpfung besteht darin, dass Jesus Christus die Liebe Gottes in die Welt gebracht hat.

"Wenn die Christen erlöst wären, müssten sie erlöster aussehen", da ist ja doch was Wahres dran. Ich sah neulich eine junge Mutter mit ihrem Baby. Sie sah richtig glücklich aus. Als ob sie erlöst wäre. Oder besser: als ob sie geliebt würde und lieben dürfte.

Mit der Liebe hat Jesus Gott in die Welt gebracht, denn Gott ist Liebe. Das habe ich selbst erfahren. Gott macht keine halben Sachen. Er schenkt sich uns mit seiner Liebe ganz. Unsre Herzen sind dafür zu klein, die ganze Welt ist zu klein gegenüber der unendlichen Fülle der Liebe Gottes. Und doch steckt auch in einem Tröpfchen das ganze Meer, in der "Anzahlung des Geistes" (Vers 23) die volle Gewinnsumme. Da kann ich nur singen mit Gerhard Tersteegen: "Ich will, anstatt an mich zu denken, ins Meer der Liebe mich versenken". Gott in mir und ich in Gott – was kann es schöneres geben?

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner