Markus 10,42-44 Vom Herrschen und Dienen

Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Throne und Ministersessel sind sehr wacklige Sitzmöbel heutzutage. Revolutionen, Wählerumfragen und Wahlen rütteln daran, und die darauf sitzen, meinen auf Sitzflächenkleber nicht verzichten zu können. Es ist ja auch schwierig, sich richtig zu verhalten: Das Gemeinwesen braucht stabile Verhältnisse. Es tut ihm nicht gut, wenn die Politiker dauernd ausgewechselt werden und ihre Kräfte durch Machtkämpfe vergeuden. Wer einen Posten hat, darf um der Allgemeinheit willen nicht bei der kleinsten Erschütterung die Flucht ergreifen. Wer aber seinen Thron bis zum bitteren Ende verteidigt, schadet dem Gemeinwesen noch mehr. Was daraus werden kann, haben wir in Libyen gesehen. Die Kunst ist, zu erkennen, wann es Zeit ist zu gehen. Da ein Politiker ohne Kampfgeist es gar nicht so weit schafft, besteht weniger die Gefahr, dass er zu früh geht, als dass er zu lange zögert.

Da tut es gut, uns auf das Jesuswort vom Herrschen und Dienen zu besinnen. Jesus nennt das Wesen der Macht beim Namen:

1. Gewalt. Das war nicht nur damals so. Auch der demokratische Staat übt Gewalt aus. Das muss er tun, um Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Selbst der kleinste Parksünder muss unter der Staatgewalt leiden, wenn er wegen so einer Lappalie abgezockt wird. Das Wesen einer Demokratie ist nicht, dass sie auf Staatsgewalt verzichtet, sondern dass sie diese kontrolliert und nicht willkürlich einsetzt.

Zur Macht gehören aber noch zwei andere Bestandteile:

2. Geld. Der Finanzminister verfügt über Milliarden. Die muss er auch haben, sonst ist das Gemeinwesen handlungsunfähig. Er selbst verdient auch nicht schlecht. Aber wir erwarten, dass er sein privates Geld und das ihm anvertraute Staatsvermögen säuberlich auseinander hält. Das war nicht immer so. Die alten Könige und Fürsten haben mit Steuergeldern ihre kostspieligen Hobbys finanziert. Zu Jesu Zeiten gingen die römischen Statthalter in die Provinzen, um sie auszuplündern und sich zu bereichern.

3. Die Befugnis zu handeln. Wir erwarten von einem Hilfs-Sheriff, dass er Parksünder aufschreibt, von einer Gemeinde, dass sie die Straßen renoviert, vom Bundestag, dass er Gesetze macht, die uns ärgern, und vom Finanzminister, dass er auf dem Geld sitzt und Sparmaßnahmen durchdrückt.

Jesus führt aber noch einen vierten Gesichtspunkt ein: "Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein". Denn Macht verführt auch heute noch dazu, nicht den anderen und der Allgemeinheit zu dienen, sondern sich selber. Da brauchen wir gar nicht an exotische Diktatoren zu denken, die Steuergelder für ihr Luxusleben vergeuden und die Staatsämter an ihre Familienmitglieder vergeben. Es fängt doch schon an mit der Versuchung, sein eigenes Ansehen zu polieren, indem man hohe Ämter anstrebt und sich mit klangvollen Titeln schmückt. Leider ist dieser Ehrgeiz auch heute noch eine wichtige Triebfeder der Macht. Und leider kommt man auch heute nur nach oben, indem man um die Macht kämpft, am Thron rüttelt, den bisherigen Amtsinhaber ab- und sich selbst draufsetzt.

Welche Bedeutung hat dabei das Gebot Jesu, nicht zu herrschen, sondern zu dienen? Es wäre doch schon viel erreicht, wenn jeder von uns, ob in Staat, Kirche oder Vereinen, seine Tätigkeit als Dienst für die anderen verstünde.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner