Einführung in das Neue Testament

Teil 11

Die Gnosis II

Versuch, einige Vorstellungen der Gnosis zu erfassen und darzustellen:

Die Gnostiker glauben an die Vollendung des Geistesmenschen durch geheimnisvollmagische Lebensdurchdringung, während der Sinnenmensch ihrer Auffassung nach nicht erlösungsfähig ist.

Die Gnostiker sagen: der Mensch begreife sich in der Welt nur durch die Schau, die Erkenntnis, des wahren jenseitigen Seins. Der Mensch stamme aus einer jenseitigen Welt, der Lichtwelt, aus der er in die Welt der Materie gestürzt sei. Allerdings trage er noch einen Lichtfunken bzw. den Gottesgedanken in sich und der mache eigentlich sein wahres Sein und Leben aus. Diese Welt, in der wir leben, sei Finsternis und das Leben sei eine Selbstentfremdung in einem Körper als Gefängnis. Wer jedoch den himmlischen Funken in sich trage, könne erlöst werden. Diese Erlösung geschehe durch den Rufer, den Christengott, der aus der Lichtwelt als der Gesandte zu den Menschen durchdringt. Er, der Rufer (Christengott), ebne den Rückweg in die himmlische Heimat, die Lichtwelt, und im Augenblick des Hörens befinde sich der gnostische Mensch schon auf dem Wege dorthin.

Die Gnostiker behaupten von sich, dass sie das irdische Dasein überwunden hätten und Erweckte des Himmelswesens seien und dadurch also mit dem Erlöser identisch.

Andere Gnostikerschulen unterscheiden sogar drei Klassen von Menschen - entsprechend der Dreiteilung von Geist, Seele und Leib des Menschen. Das sind:

Der Erkennende bzw. Pneumatiker will also nicht auf dem Boden des "Nur-Glaubens" stehen bleiben, den er irrtümlich als ein bloßes Für-wahr-halten auffasst, sondern er versteht sich als ein zum Wissen der göttlichen Geheimnisse aufgestiegener Mensch.

3. Die Wertung der Bibel in der Gnosis

In der Wertung der Bibel gehen die Gnostiker von einem Unterschied zwischen Altem und Neuem Testament aus. Sie meinen beobachtet zu haben, dass im Alten Testament der Zorn und die Heiligkeit Gottes betont wird und im Neuen Testament dagegen die Liebe Gottes. Daraus schließen sie, dass der Gott des Alten Testamentes ein ganz anderer Gott sei als der Gott des Neuen Testamentes. Der alttestamentliche Gott sei der Gott der Weltschöpfung, der Judengott. Der neutestamentliche Gott sei jedoch der Gott der Liebe und der Erlösung, der Christengott.

Damit hängt auch gleichzeitig zusammen, dass sie die Erlösung als Befreiung von der stofflichen Welt ansehen und nicht als einen Gnaden- und Vergebungsakt Gottes. Der gute und oberste Gott steht nach ihrer Lehre dieser sichtbaren Welt ganz fern. Er habe diese Welt auch nicht erschaffen. Das habe der niedere Gott getan, der Werkmeister, der Demiurg, der Judengott. Aber der habe die Welt nicht erschaffen aus dem Nichts, sondern sie nur geordnet. Er, der Demiurg, habe aus dem Chaos (der Weltunordnung) nur den Kosmos (die Weltordnung) gestaltet.
Von einer eigentlichen Weltschöpfung sprechen die Gnostiker sowieso nicht. Sie vertreten die Emanationslehre.

Grob ausgedrückt besagt sie, dass aus der obersten Gottheit Geistwesen fließen, die sogenannten Äonen. Aus ihnen kommt die stoffliche Welt, die Materie. Da die Welt aber stofflich ist, ist sie böse.

Aus diesem Grund hat nach der Lehre der Gnostiker die Sünde nicht ihren Sitz im Willen des Menschen und seinem Geist, sondern im Leib und seiner Sinnlichkeit. So konnten die Gnostiker ohne große innere Schwierigkeiten mit ihrem Leib sündigen, im Geist aber göttlich leben.

Die Erlösung stellen sich die Gnostiker so vor:

Die Weltseele, Achamoth genannt, strebt nach Befreiung von der Materie. Dasselbe soll auch der Mensch tun. Dieser Erlösungssehnsucht kommt die oberste Gottheit entgegen, indem sie eins ihrer obersten Geistwesen, den Äon Christus auf die Erde sendet. Dieser Christus verbindet sich bei der Taufe mit dem Menschen Jesus von Nazareth. Jesus von Nazareth hatte aber wiederum keinen richtigen Leib, sondern nur einen Scheinleib, denn wäre er in einem echten Leib aus Stoff und Materie gewesen, wäre er ja sündig gewesen. Das Erlösungswerk Jesu lag nach gnostischer Auffassung somit nicht in seinem Tod am Kreuz und in seiner Auferstehung, sondern allein in seinem Leben.

Durch sein Leben auf der Erde hätte er gezeigt, wie man die Leiblichkeit überwindet. Auch dass Jesus diese Erkenntnis des höchsten Gottes gebracht habe und dazu noch die göttliche Lichtwelt, sei sein eigentliches Erlösungswerk, denn nur dadurch konnte der göttliche Lichtfunke im Geistesmenschen entzündet werden.

Darüber erzürnte nun der Judengott und rächte sich wegen seiner Zurücksetzung dadurch, dass er seine Anhänger, die Juden, dahin brachte, Jesus ans Kreuz zu schlagen. Doch der Christus hatte sich schon vor dem Leiden von dem Scheinmenschen Jesus von Nazareth getrennt. Die Erlösung, die der Äon Christus brachte, wird nun auf das ganze Weltall bezogen.

Er hat nach Auffassung der Gnostiker nicht nur die Menschen erlöst, sondern grundsätzlich auch die Natur von den Banden der Stofflichkeit befreit. Die Weltseele Achamoth wurde befreit durch den Äon Christus.

Der Apostel Paulus hat es in seinen Auseinandersetzungen vor allem mit der judaisierenden Gnosis zu tun, die sich an das Judentum anlehnt.

Edwin Suckut

Übersicht