Liebe Leserin, lieber Leser,
kannst du das auch von dir sagen: "Ich habe den Herrn Jesus Christus
angenommen"? Oder wie mit den Worten der Pariser
Basis des CVJM: "Jesus Christus nach der Heiligen Schrift als meinen
Gott und Heiland anerkannt"?
"Herr" im vollen Sinn des Wortes ist ja ein altmodischer Begriff und
verkommen zu einer gedankenlos gebrauchten Anrede: "Herr Müller", das
ist nicht sehr viel mehr als "Mann Müller". Man kann "Herr Jesus" heute
im selben Sinn missverstehen. Ich habe mir in jungen Jahren Gedanken
gemacht, wie man noch dafür sagen könnte: "Chef, Boss, Vorgesetzter…",
das passt alles nicht. Manchmal rede ich ja, halb im Scherz, halb im
Ernst, von "meinem obersten Chef", der über Dekan, Propst, Synode,
Kirchenpräsident steht, aber ich stehe ja auch in einem beamteten
Dienstverhältnis.
Was hat Jesus euch zu bedeuten? Für mich ist er die oberste
Autorität. Wie wirkt sich das aus?
- Ich habe Jesus nicht persönlich gekannt, bin also auf das
angewiesen, was ich "gelehrt worden" bin, d. h. auf die Bibel. Aber
die Bibel ist dick und man kann sich darüber ereifern, dass Mose
behauptet, der Hase sei ein Wiederkäuer, oder aus dem Buch Josua
Anweisungen für die Kriegsführung herauslesen. Nein, nicht jedes
Buch, nicht jedes Kapitel, jeder Buchstabe ist gleich wichtig,
sondern "Christus ist die Mitte der Schrift" und die Tierkunde ist
genauso weit davon entfernt wie die Kriege Josuas. Im Zentrum stehen
Wort und Werk Jesu, und drum herum die Evangelisten, durch die wir
überhaupt von ihm wissen, dann die Schriften der Apostel, dann der
Rest des Neuen Testaments, dann, ebenfalls in sich abgestuft, das
Alte Testament, dann die kirchliche Tradition, festgehalten in
Millionen gedruckter Seiten, für mich gebündelt in den Schriften der
Reformatoren, breitgetreten und wieder mehrfach gebündelt im Laufe
von 500 Jahren und schließlich und endlich durch meinen eigenen
Werdegang. Aber maßgeblich ist nicht die neuste Verordnung der EKHN
oder das Wort des Ratsvorsitzenden, auch nicht die
Universitätstheologie, auch nicht der Bundestag, sondern allein
"Jesus Christus nach der Heiligen Schrift". Das bedeutet nicht, dass
mich alles andere nicht kümmert. Aber Jesus ist oberste Autorität
und letzte Instanz, und zwar dienstlich wie privat.
- Bei Volksabstimmungen in der römischen Republik (vor Caesar)
galt der Grundsatz: "Das will ich, so befehle ich, als Begründung
gilt mein Wille" - für Politiker eine radikal ehrliche Auskunft. Die
haben sich nicht hinter Gutachten verschanzt. Und Jesus? Der hat
sich manchmal scheinbar selbstherrlich über die Vorschriften
hinweggesetzt. Aber nicht willkürlich. Denn er fragte hinter den
Buchstaben des Gesetzes zurück: Was hat sich Gott dabei gedacht, als
er Adam und Eva nicht als Einzelwesen, sondern als Paar schuf? Die
Absicht war doch wohl, dass sie bis zum Tod zusammenbleiben sollten.
Also ist der Scheidungsparagraph bei Mose nur eine Notverordnung,
keine generelle Erlaubnis. Die oberste Instanz für Jesus war Gott.
Deshalb ist auch für mich die oberste Instanz letztlich Gott, und
das gibt mir das Recht, meine eigenen Entscheidungen zu treffen.
Aber nicht selbstherrlich wie die altrömischen Abgeordneten, sondern
an der langen Leine der 3000-jährigen biblischen Überlieferung und
eng gebunden an Jesus.
- Luther stand in Worms vor dem Kaiser und weigerte sich, seine
Schriften zu wiederrufen, weil es nicht gut sei, gegen sein Gewissen
zu handeln. Luther hat damit einen Stein ins Rollen gebracht. Heute
ist die Freiheit, nach seinem Gewissen zu handeln, Teil unsres
Grundgesetzes. Aber auch das Gewissen ist keine Willkür, sondern
Bindung, "fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid", für mich
also Bindung an Gott, an die Bibel und letztlich an Jesus Christus.
Mit freundlichen Grüßen
Heinrich Tischner