Grundbegriffe des Glaubens: Gottes Sohn

Von seinem Sohn Jesus Christus, unserm Herrn, der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch, und nach dem Geist, der heiligt, eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten. (Römer 1,3.4)

Liebe Leserin, lieber Leser,

diese beiden unscheinbaren Verse am Anfang des Römerbriefs enthalten die älteste "Weihnachtsgeschichte" der Bibel. Da ist alles drin, was wichtig ist: Jesus wurde als Mensch in eine menschliche Familie geboren "nach dem Fleisch", ein Mensch wie wir, unvollkommen, angreifbar, anfechtbar, verwundbar, kreuzigbar. Und trotzdem Sohn Gottes, nicht durch Geburt, sondern "eingesetzt", ernannt durch den heiligen Geist, der ihn von den Toten auferweckte. Modern gesprochen: Jesus hatte keine göttlichen Gene, sondern nur die seiner Eltern. Das Besondere an ihm war der Geist, der in seinen Worten und Taten zu Ausdruck kam, und den hatte er von Gott. Dazu muss man kein Halbgott sein oder mehr, denn Gottes Geist kann in jedem von uns wirken, wenn wir ihn gewähren lassen.

Der Ausdruck Halbgott stammt aus der heidnischen Überlieferung. Herkules war Sohn eines Gottes und einer Menschenfrau. So hat man sich das auch bei Jesus vorgestellt, aber daran brauchen wir uns nicht zu halten, das wäre eine Beleidigung Gottes und der Maria.

Die Überzeugung, dass Jesus Gottes Sohn ist, hat ihren Ursprung in den Apokryphen, dem Anhang zum Alten Testament: Weisheit 2,13.18 (um 50 v.Chr.): Für die Bösen ist ein "gerechter", anständiger Mensch unerträglich. Sie beschließen ihm eins auszuwischen: "Er behauptet, Erkenntnis Gottes zu haben, und rühmt sich, Gottes Kind zu sein… Ist der Gerechte Gottes Sohn, so wird er ihm helfen und ihn erretten aus der Hand der Widersacher." Die ersten Christen müssen dieses Buch gekannt haben, denn Matthäus spielt auf diese Stelle in der Passionsgeschichte an (23,43).

Jesus verstand sich selbst in diesem Sinn als Gottes Kind oder Sohn und sagte daher zu Gott "Vater" - so wie wir uns als Kinder Gottes verstehen und Gott Vater nennen dürfen.

Den Halbgott könnten wir eigentlich vergessen. Und trotzdem steckt da eine tiefe Weisheit drin: Wenn Gott in die Welt kommt, verliert er seine göttliche Majestät und Vollkommenheit. Der Göttersohn Herkules war nur Halbgott, mit menschlichen Eigenschaften und Charakterschwächen und musste seinem älteren Stiefbruder, Ganzmensch, dienen. - Der Schöpfer brachte sich in die Welt ein, doch was er schuf, ist nicht perfekt. Das geht einfach nicht, Geist 1 : 1 in Materie umzusetzen, sowenig wie sich eine Oper mit einem Foto wiedergeben lässt. Ein Ideal ist nur solange ideal, wie es nicht verwirklicht wird. Wenn es eintaucht in die Wirklichkeit, ist es bestenfalls nur eine Zeitlang gut. - So auch Jesus: Das einzige Ding um seinen Kopf, das er jemals trug, war kein Heiligenschein, sondern die Dornenkrone. Und die Bösen aus Weisheit 2 schienen Recht behalten zu haben: Gott hat ihm nicht geholfen, sondern ihn buchstäblich hängen lassen. Von Gottes Macht und Majestät ist in dieser Welt nicht viel zu sehen. Sie entfaltet sich erst einer anderen Welt.

Das Happy End der Jesus-Geschichte ist bekannt: Weil er sich erniedrigt hat, "darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist" (Philipper 2,9). Die Apostel sahen nach der Auferstehung keinen Menschen, der dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen war, sondern den Gekreuzigten "sitzend zur Rechten Gottes" (Apostelgeschichte 7,55), als himmlischen "Kronprinzen".

"Kinder Gottes" dürfen auch wir sein. Auch mit uns ist ein Fünkchen des Geistes Gottes in die Welt gekommen und auch wir dürfen wie Jesus wieder heim zu unserm Vater, nicht gerade auf einen Thron oder Ministersessel, aber erst mal auf Papas Schoß und dann an den Katzentisch oder Stehplatz, der uns zusteht. Alberne Bilder! Denn dort oben gibt's keine Rangunterschiede mehr.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner