Monatsspruch Juli 2016

Und Gott sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen Jahwe: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. (2. Mose/Exodus 33,19)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Mose hat von Gott den Auftrag bekommen, Israel aus Ägypten ins Heilige Land zu führen. Worauf lässt er sich da ein? Kann er das schaffen? Die Bibel berichtet ausführlich über die Schwierigkeiten der Wüstenwanderung, mehr noch: über wiederholte Führungskrisen, in denen Mose meinte, sich wie ein Tyrann mit harter Hand durchsetzen zu müssen. Aber jetzt ist er unsicher, wie's weitergehen soll und führt mit Gott eine merkwürdige Verhandlung - oder besser: Ein biblischer Prediger überlegt, wie es sich bemerkbar machte, dass nicht Mose, sondern Gott selbst die Wüstenwanderung anführte.

1. Vorschlag: "Lass mich deinen Weg wissen" (Vers 13), zeige mir den Weg, den wir gehen sollen. In späteren Texten ist der Lebensweg, die Lebensführung gemeint, im Rahmen der Gebote Gottes. Hier ist das zunächst ganz wörtlich zu verstehen: Wie kommen wir von hier ins Gelobte Land, durch die weglose und lebensfeindliche Wüste? Die theologisch verklausulierte, schwer verständliche Antwort: "Mein Angesicht soll vorangehen; ich will dich zur Ruhe leiten." (Vers 14). Also immer "der Nase nach", die ja im Gesicht am weitesten vorn ist? Nein, mit Angesicht ist die Anwesenheit Gottes gemeint, also "ich will bei dir sein, ich selbst will dir den richtigen Weg zeigen". Warum so kompliziert? Weil wir Gott ja nicht sehen können. Er sieht uns, aber wir sehen ihn nicht. Und das ist ja genau das Problem von Mose: Was nützt mir meine ganze theologische Weisheit, wenn ich nicht weiß, wie ich mich jetzt verhalten soll? Gott sagt Mose: "Verlass dich auf mich, ich werde dir von Fall zu Fall eingeben, was du tun sollst." Wie die Stimme im Navi: "An der nächsten Kreuzung links ab." Mehr brauchst du zunächst nicht zu wissen. - Die Fortsetzung: "Ich will dich zur Ruhe leiten" zeigt, dass die Mosegeschichte als Bild für dein und mein Leben zu verstehen ist: Du sollst zur Ruhe kommen, nach all den Schwierigkeiten, die auf dich zukommen.

Im 2. Vorschlag wird Mose unverschämt und fordert ohne Umschweife: "Lass mich deine Herrlichkeit sehen!" (Vers 18) Herrlichkeit (eigentlich Hehrlichkeit 'Erhabenheit') war die sichtbare Pracht eines Herrschers, die die Untertanen beeindruckte. Denn wer sich ein großes Schloss mit viel Personal und Hausrat aus Gold leisten konnte, der musste ja reich und mächtig sein. Die Herrlichkeit Gottes stellte man sich vor als blendendes Licht, in das man nicht blicken kann (Psalm 104,1.2, ähnlich Lukas 2,9 "die Klarheit des Herrn leuchtete" um die Hirten). Und Gott sagt zu: Er will vor Moses Augen vorbeiziehen - man muss sich das vorstellen wie einem Aufmarsch, bei dem der orientalische Herrscher, geschmückt mit den Kronjuwelen, mitsamt seinem Harem und Dienern und Staatsbeamten und Truppen mit Pauken und Trompeten vor den Augen der Menge durch die Stadt zog. Mose bekommt aber eine Privatvorstellung, nicht des "Hofstaats", sondern der "Güte" Gottes. Und was hat Mose gesehen? Nichts, nur gehört: "Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich" - eine Auslegung des Gottesnamens Jahwe ("Ich werden sein, der ich sein werde" Exodus 3,14 und "Ich will mit dir sein". Exodus 3,12)

Typisch Bibel! Der biblische Erzähler vermeidet in der Antwort Gottes das Wort "(sichtbare) Herrlichkeit", sondern benutzt das unbestimmte Wort "Güte", also "Ich will dir zeigen, wie gut ich bin": sobald der Gottesnamen ausgerufen wird. Auch das können wir uns anschaulich vorstellen: Durch die Gasse der wartenden Menge geht ein Herold und kündigt den Herrscher an: "Ludewig, von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen und bei Rhein, König von Westphalen usw." So war das bei uns noch vor 200 Jahren. - Aber statt eines persönlichen Auftritts oder wenigstens eines Bildes hört Mose nur den Namen und die Titel Gottes, dessen Wesen Gnade und Erbarmen ist. "Du hast mein Wort, ich will mit dir sein." Oder wie Paulus es ausdrückt: "Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." (2. Korinther 12,9).

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner