Monatsspruch August 2017

Aber Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tag und stehe nun hier und bin sein Zeuge bei Groß und Klein und sage nichts, als was die Propheten und Mose vorausgesagt haben: dass Christus müsse leiden und als Erster auferstehen von den Toten und verkündigen das Licht seinem Volk und den Heiden. (Apostelgeschichte 26,22)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Paulus hatte das Talent, von einem Fettnäpfchen ins andere zu treten und sich unbeliebt zu machen. Warum denn bloß? Weil er einen unbequemen Auftrag hatte, in die Welt hinauszugehen und Propaganda für Jesus zu machen. Er hatte erst Christen verfolgt und sich dann doch taufen lassen. Kann man einem Überläufer trauen? Schon jetzt gab es Schwierigkeiten. Er musste aus Damaskus fliehen (Apostelgeschichte 9,23-25), wurde auch in Jerusalem verfolgt und von den Christen in seine Heimat gebracht (9,29-30). Von dort holte man ihn nach Antiochia und schickte ihn mit seinem Gönner Barnabas auf Missionsreisen (ab Kapitel 13). Er verkrachte sich mit Barnabas (15,35-41) und Petrus (Galater 2,11-15). Wohin er kam gab's Ärger. Grund: Er nahm auch Heiden in die Gemeinde auf, ohne sie auf die Thora zu verpflichten. Damit machte er sich bei den Juden unbeliebt, aber auch bei Judenchristen, denen die Thora immer noch heilig war. Bei den Römern galt er deshalb als Unruhestifter und wurde bei seinem letzten Besuch verhaftet und ohne Gerichtsverfahren festgehalten (22-24). Erst nach zwei Jahren kam ein neuer Statthalter, Festus, der den liegen gebliebenen Fall aufarbeitete - und Paulus nach Rom schickte vor ein kaiserliches Gericht. Schließlich wurde Paulus unter Nero enthauptet.

Der Monatsspruch steht am Ende der Verteidigungsrede vor Festus. Und wie reagierte der Statthalter? "Du spinnst, Paulus, deine Gelehrsamkeit hat dir den Kopf verdreht." (26,24) "Mose und die Propheten, Christus, Auferstehung" - was konnte der Heide damit anfangen?

Aber war das falsch, was Paulus gesagt hatte: "Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tag"? Sicher, Gott und gute Menschen haben ihm immer wieder weitergeholfen. Aber warum hatte ihn Gott nicht vor all dem Übel bewahrt? Die Antwort ergibt sich aus dem Schluss der Rede: Auch Christus musste leiden. Sein Leiden hatte einen Sinn: "Über raue Wege zu den Sternen", christlich: "durch Leiden zur Herrlichkeit". Jesus ist zwar für uns das Vorbild, aber im Grunde ist das eine allgemeine Lebensweisheit. Millionen haben für ihre Überzeugung das Leben lassen müssen, auch heute noch. Und selbst von Sagen- und Märchenhelden wird erzählt, dass sie leiden mussten, von Herakles bis Harry Potter. Beliebtheit und sichtbarer Erfolg sind nicht entscheidend.

Können auch wir "Zeugen" Gottes sein? Zeugen sind Menschen, die etwas erlebt haben und davon berichten können. Der Zeuge vor Gericht sagt aus, was geschehen ist. Die letzten Zeitzeugen erzählen, wie es ihnen vor und nach 1945 ergangen ist. Ich war bei der Schöpfung nicht dabei und habe Jesus nicht persönlich gekannt. Auch Paulus nicht. Sein Schlusssatz und die Antwort des Festus erwecken zwar den Eindruck, als hätte er einen gelehrten Vortrag gehalten und versucht, aus Bibelzitaten schlüssig zu beweisen, dass Jesus auferstanden ist. Aber wenn du die ganze Rede liest, merkst du, dass er nicht argumentiert, sondern erzählt. Er kannte Jesus ja nicht bloß vom Hörensagen, sondern hat ihn als letzter Zeuge seiner Auferstehung selbst gesehen (1. Korinther 15,3-8). Von der "Hilfe Gottes" erzählt er hier nichts, aber bei anderen Gelegenheiten wie 2. Korinther 12,7-9 mit einer erstaunlichen Erfahrung: Paulus hatte ein Leiden (an den Augen als Folge seiner vorübergehenden Erblindung, Apostelgeschichte 9,8.9?) und hat dreimal um Heilung gebetet, aber er wurde diesen "Pfahl im Fleisch" nicht los. Stattdessen bekam er die Antwort: "Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." Auch mir hat Gott nicht meine Schwerhörigkeit "weggezaubert" - und stattdessen andere Möglichkeiten erschlossen. Meine Mutter war in der zweiten Hälfte ihres Lebens krank und lag oft im Bett, sogar im Krankenhaus und hatte kurz vor dem Ausbruch ihrer Krankheit im Traum eine Stimme gehört: "Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil." (Psalm 73,23-26) Sie hat mir oft davon erzählt und sich an diesen paar Sätzen festgeklammert.

Zeugen müssen vor allem erzählen. Gott und Jesus können wir erleben. Deshalb erzähle ich so viel in meinen Andachten über meine Erfahrungen. Die können wir aber nur machen, wenn wir "glauben", d. h. mit der Möglichkeit rechnen, dass wir einer höheren Macht unterstehen, und wenn wir uns von ihr helfen lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner