Monatsspruch Oktober 2018

Herr, all mein Sehnen liegt offen vor dir, mein Seufzen war dir nicht verborgen. (Psalm 38,10)

Lieber Gott,

das hab ich wirklich nicht um dich verdient! Hab ich nicht immer versucht deinen Willen zu tun und dir zu dienen? Aber was muss ich erleben? "Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe. Ich bin matt geworden und ganz zerschlagen; mein Herz erbebt, meine Kraft hat mich verlassen, und das Licht meiner Augen ist auch dahin. Meine Lieben und Freunde scheuen zurück vor meiner Plage, und meine Nächsten halten sich ferne. Ich bin wie taub und höre nicht, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut. Ich muss sein wie einer, der nicht hört und keine Widerrede in seinem Munde hat." - Wie bitte? Ich bin selbst dran schuld? Hätte ich damals nicht…! - Teufel, geh mir aus der Leitung und quatsch mir nicht dazwischen, ich rede mit Gott! - Ach, so, das warst Du. Entschuldigung, deine Stimme klang auf einmal so anders. Ja, natürlich darfst du kritische Fragen stellen. Ja, ich geb's ja zu, das war ein Fehler und jenes auch. Ich habe versucht selbstlos zu sein und dabei doch bloß an mich gedacht. Wenn ich so drüber nachdenke, kommt doch ein Haufen Zeugs zusammen! Ich schäme mich. Das alles wächst mir übern Kopf und "ist mir wie eine schwere Last … zu schwer geworden…. So bekenne ich denn meine Missetat und sorge mich wegen meiner Sünde."

Liebe Leserin, lieber Leser,

darf man so mit Gott reden? Darf man sich bei Gott beschweren?

Manchmal tut es ja gut, sich auszusprechen, obwohl Er doch eh alles weiß, obwohl "mein Sehnen vor ihm offen liegt und mein Seufzen ihm nicht verborgen ist." Es tut gut, sich vor Ihm auszusprechen, weil wir dann manches einfach los werden und uns nicht damit kaputt machen. Wir sprechen es aus und kommen so auf andere Gedanken.

Andrerseits kann man sich durch Jammern und Klagen auch in etwas hineinsteigern. In Unzufriedenheit zum Beispiel, wie es dem Reichen im Lied geht: "Je mehr er hat, je mehr er will. Nie schweigen seine Klagen still." Dagegen setzt der Sänger die Dankbarkeit: "Drum will ich immer dankbar sein und mich der Güte Gottes freun!" (Johann Martin Miller, Was frag ich viel nach Geld und Gut).

Ja wirklich, besser als jammern ist singen! So hab ich's in meiner Jugend erfahren: Ich war in einer ganz miesen Stimmung. Da fiel mir ein Lied ein nach der Melodie "Ach, was ist die Welt so schlecht!" Und je mehr ich sang, desto mehr stieg meine Stimmung, und mir fielen immer fröhlichere Lieder ein.

Und so ist es auch in vielen Psalmen: Der Sterbepsalm Jesu "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (22,1) endet ganz zuversichtlich: "Ich will dich in der Gemeinde rühmen" (22,23). Ihm folgt als Vertrauensbekenntnis Psalm 23 "Der HERR ist mein Hirte". - So folgt auf den verzweifelten 38. Psalm ("wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut") der bewusste Entschluss nicht zu klagen: "Ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun; denn du hast es getan" (39,10) und das Vertrauensbekenntnis "Der HERR hat mir ein neues Lied in meinen Mund gegeben, zu loben unsern Gott." (40,4)

Und wie geht's weiter? Ist es nur das Stimmungstief, das ich durch Beten und Singen überwinden kann? Oder ist es nicht eher meine verfahrene Situation, aus der ich nicht herauskomme? Gefangen wie ein Tier im Käfig! Jetzt kann nur noch ein Wunder helfen. Bitte, Herr, tu ein Wunder! Bitte, bitte, mach den Käfig auf! Bitte, schick einen Engel, der mich herausholt, wie damals den Petrus aus dem Gefängnis! (Apostelgeschichte  2,3-11)

Hallo, ich rede mit dir! Hörst du mich nicht? Hast du mich vergessen? Lässt du mich so einfach hängen?

Ach so, verstehe: Jesus ging es ja genauso. "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" betete er am Kreuz. Da kam keiner und hat ihn wieder abgemacht. Er musste hilflos sterben, von Gott hängen gelassen und von aller Welt verlassen. Es blieb ihm nichts erspart.

Und deshalb weiß ich, dass gerade in der tiefsten Verzweiflung Einer da ist, der mich nicht allein lässt, weil Er das alles und noch Schlimmeres selber durchgemacht hat: Jesus, der gute Hirte. "Und ob ich schon wanderte im Tal der Todesschatten, fürchte ich kein Unglück, dein Stecken und Stab trösten mich," (Psalm 23,4), die beiden Kreuzesbalken. Darum singe ich zuversichtlich "Ich steh in meines Herren Hand und will drin stehen bleiben!"

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner