So erlebte ich den Nikolaus in Ueberau

Es war zwischen 1937 und 1939. Der große "Lispe-Hof" meiner Familie lag gegenüber der Schule. Er hatte ein großes Tor zur Straße und ein anderes nach hinten zur Gersprenz hin. Am Heiligen Abend fuhr der Nikolaus mit einer Kutsche in den Hof und hatte das Christkind dabei. Der Vater machte die Haustüre auf und sie kamen beide in’s Wohnzimmer.

Ich musste ein Gedicht vortragen, dann setzte sich der Nikolaus ans Klavier und spielte "Ihr Kinderlein kommet". Das Christkind sang dazu und ich sollte auch mitsingen.

Der Nikolaus fragte dann, ob ich brav gewesen sei. "Hast du auch immer getan, was die Eltern dir aufgetragen haben?" "Ja." "Nein. Du hast nicht immer deine Aufgaben gemacht", drohte der Nikolaus. - Wie peinlich! - "Warst du auch immer lieb zu deinem Schwesterchen?" (ca. drei Jahre alt) "Ja." "Nun, du bist ja auch sonst ganz lieb, dann wollen wir doch den Sack ausschütten." - In dem Sack befanden sich Spielsachen und Gebäck. Ich erhielt einen Pferdestall mit Holzpferdchen. Meine Schwester konnte sich über eine Puppe und Geschirr für die Puppenstube freuen.

"Alle Jahre wieder" und ein anderes Lied musste ich noch mitsingen, dann fuhren der Nikolaus und das Christkind durch das hintere Tor hinaus.

Dieses Erlebnis war für mich eine ganz besondere Freude. Trotz vieler schwerer Ereignisse zu dieser Zeit hat mich der Besuch des Nikolaus tief beeindruckt, und ich weiß heute noch die Einzelheiten.

Aber es gab auch ein unvergessliches Nachspiel: Als ich zur Schule kam, erzählte ich freudestrahlend vom Besuch des Nikolaus. Aber da hatte ich in ein Wespennest gestochen: Alle lachten mich aus! "Der Otto-Karl glaubt noch an den Nikolaus! Den gibt’s doch gar nicht!" "Ich habe ihn doch gesehen!", konterte ich steif und fest. Das wurde dann meiner Mutter gesagt und sie musste mir erklären, dass der Nikolaus mein jetziger Lehrer, Herr Büchler, - ein Freund unseres Hauses - und das Christkind seine Frau gewesen waren.

Otto-Karl Stuckert