Monatsspruch August 2020

Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. (Psalm 139,14)

Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn ich heute die Welt betrachte und mich selbst, ist mir's eher zum Heulen zumute als zum Danken und Wundern. Ich will dir jetzt nicht den Kopf voll jammern und das Herz schwer machen. Du weißt ja selber, wie's ist.

Ja, wie ist es denn? Das ist gar nicht so einfach zu sagen. Die Welt um uns herum ist verwirrend. Da geschieht so vieles, was wir nicht verstehen. Unsre Nasen, Ohren, Augen melden uns unentwegt Sinneseindrücke, die wir gar nicht alle verarbeiten können. Im alten Röhrenradio konnte man mehrere Sender gleichzeitig hören - und verstand nichts. Man musste solange drehen, bis man den gewünschten Sender genau auf eine Frequenz eingestellt hatte. So machen wir das auch mit unseren Sinnesorganen: Wir konzentrieren uns auf das, was jetzt wichtig ist und blenden alles andere aus. Wir nehmen von der vielfältigen, verwirrenden Welt nur einen winzigen Ausschnitt wahr, weil wir uns darauf konzentrieren. Anders ausgedrückt: Wir wählen aus. Wie bei den Sendern.

Genauso wichtig ist es, dass wir nicht nur "Themen" auswählen, was wir hören und sehen wollen, sondern auch unsre Eindrücke bewerten: "Das ist aber lieb von dir". Vor ein paar Wochen überkam's mich immer wieder, was die Welt so unwahrscheinlich grün ist, durchstreut von vielen bunten Blumen und durchtränkt mit Vogelgesang. Ich wundere mich jedes Mal neu, wie so was Schönes entstehen konnte. Eigentlich haben Farben und Duft der Blumen nur den einzigen Sinn, bestäubende Insekten anzulocken. Mit ihren Melodien grenzen die Vögel ihr Revier ab. Aber offenbar haben Bienen und Vögel einen ähnlichen Geschmack wie wir. Und die Engel auch, jedenfalls auf den Bildern. Sie singen und musizieren die liebe lange Ewigkeit. Früher dachte man, der Himmel bestünde aus mehreren Ineinander eingefügten "Sphären“, Hohlkugeln, die sich umeinanderdrehten. In einer Maschine würde sich das nicht gut anhören: ein fortwährendes Quietschen und Rattern. Aber die alten Philosophen dachten an Musik, wie bei einer Spieluhr. Ob musizierende Engel aus dem Bilderbuch und der "Himmel voller Geigen" oder "Sphärenharmonie", das ist derselbe Grundgedanke: Das Wesen Gottes ist Harmonie, vor ihm passt eins zum anderen. Alles wird gut. Wir aber hören nur einzelne Töne, die nicht immer wohlklingen.

Zugegeben, man kann die Welt auch anders sehen. Nicht himmlische Harmonie, sondern der ewige Kampf ums Überleben. Konkurrenzkampf, "Einer frisst den anderen". Machtgerangel. "Nur einer kann gewinnen". "Du musst dich durchsetzen."

Ich ziehe es vor, nicht das Schlechte, sondern das Gute zu sehen. Meine Mutter hatte eine Puppe mit Schlafaugen, damals was Besonderes. Leider trat jemand drauf, die Puppe war kaputt. Klein Mama weinte. "Aber die Äugelchen sind noch ganz", tröstete die Tante. Es ist ein hilfreiches Training, wenn wir uns angewöhnen dankbar zu sein, statt zu meckern - zufrieden zu sein statt nicht genug kriegen können - in Einschränkungen Chancen zu erkennen, statt zu jammern - das Verbindende zu sehen statt das Trennende. Wer überall Feinde sieht und meint sich wehren zum müssen, wird Zwietracht säen und Unfrieden, Kampf und Krieg ernten. Wer aber an den Frieden glaubt, wird Wohlwollen säen und Frieden ernten.

Der Glaube schafft seine Wirklichkeit selbst und kann dabei Wunder erleben. Wunder sind nicht das Unmögliche, sondern was ich bewundere und worüber ich staune, vor allem wie sich vieles in meinem Leben so harmonisch zusammenfügt. Und dann fügt sich auch alles harmonisch zusammen, wenn ich auch das annehme, was mir nicht gefällt. "… Lass mich so still und froh deine Strahlen fassen und dich wirken lassen." (EG 165)

Neulich hatten wir Goldene Hochzeit. Einladungen geschrieben, alles perfekt organisiert. Und dann kam Corona. Wir mussten absagen und hatten unsern Plan aufgegeben. Doch dann schenkte uns Gott mehrere kleine Feiern im Freien, sogar mit Pfarrer und Posaunenchor, einfach so, unvorbereitet, gratis. Gottes Wege sind wunderbar!

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner