Monatsspruch Oktober 2022

Groß und wunderbar sind deine Taten, Herr und Gott, du Herrscher über die ganze Schöpfung. Gerecht und zuverlässig sind deine Wege, du König der Völker. (Offenbarung 15,3)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Gott, der Herr, als Herrscher und König - kann man das heute noch so sagen? Bei uns in Deutschland gibt es seit 102 Jahren keine gekrönten Staatsoberhäupter mehr und wenigsten in Westeuropa seit 77 Jahren auch keinen Diktator und "Führer". Bei uns wird nicht mehr befohlen, sondern debattiert, abgestimmt und gewählt.

Das hat mich schon vor 60 Jahren beschäftigt. Für Jesus hatte ich einen modernen Titel gefunden: nicht "Herr", sondern "Chef". Schließlich ist ja Er mein oberster Vorgesetzter, Er, nicht der Kirchenpräsident, Propst oder Dekan, und das war er schon, bevor ich Pfarrer wurde. Jesus trug sogar Königstitel und Krone - aber nur am Kreuz und als Dornenkrone. Er w a r kein Staatsoberhaupt und wollte auch keins sein.

Und genauso können wir Gott verstehen, nicht als König und Herrscher, auch nicht als "Großen Vorsitzenden" oder Präsidenten, sondern als oberste Autorität oder als höchsten Wert. Ich erkläre das erste Gebot "Du sollst keine anderen Götter haben" so: "Du sollst nur das als den höchsten Wert anerkennen, was mit der Liebe zu vereinbaren ist."

Lange galt das Vaterland als höchster Wert. Angeblich um Weib und Kind zu verteidigen mussten unsre jungen Männer fremde Länder verheeren. Als am Anfang der Pandemie die ersten Einschränkungen verhängt wurden, schrieb jemand in der Zeitung: "Die Freiheit ist unser höchstes Gut." Ich dachte immer, das Leben sei das höchste Gut. Über die Werte kann und muss man streiten.

Aber ich bin vom Thema abgekommen. Gott ist kein "Diktator", der auf Biegen und Brechen seinen Willen durchsetzt. Auch bei ihm geht's "demokratisch" zu. Das zeigen zwei Geschichten in der Bibel:

Sogar bei der Schöpfung, wo Gott doch freie Hand hatte, passt er sich den Gegebenheiten an:

Gottes Weisheit besteht also nicht darin, dass er alles gleich gewusst hat und jetzt alles besser weiß, sondern dass er intelligent ist, dazulernt und angemessen reagiert. Und das finde ich wirklich "groß und wunderbar".

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner