Jahreslosung 2023

Du bist ein Gott, der mich sieht. (1. Mose / Genesis 16,13)

Monatsspruch Januar 2023

Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut. (1. Mose / Genesis 1,31)

Liebe Leserin, lieber Leser,

was die beiden Sprüche verbindet, ist dass sie im Buch Genesis = 1. Mose stehen, aus einem einfachen Grund: Das ist die Ökumenische Bibellese vom 2. Januar bis 11. Februar.

Außerdem natürlich das Stichwort "sehen": Gott begutachtet und beurteilt seine Schöpfung (1,31), sieht Hagar an in ihrem Elend und schickt ihr einen Engel, der ihr wieder Mut macht (16,13).

Nach unsrer Vorstellung müsste Gott von dort oben alles sehen, bis in die Tiefen unsrer Herzen und Hirne (Psalm 139 "Herr, du erforschst mich und kennst mich"). Das kann unangenehm, ja peinlich sein. Wer lässt sich schon gern in seinem Privatleben herumschnüffeln? Und Gott sieht uns nicht nur auf die Finger, sondern haut uns auch drauf (bildlich). Ohne Bild: Ich bekam eine lieblose Äußerung 30 Jahre später in einer ähnlichen Situation wörtlich zurück, von jemand, das mich damals noch nicht kannte. Das war für einen Zufall zu deutlich! Gott sieht nicht mild lächelnd über alles hinweg, das ist meine Erfahrung. Aber andrerseits hat er mich auch vor manchem bewahrt und weitergeholfen. Auch nach ganz dummen Fehlern.

So ging's auch Hagar, einer Sklavin, die durch Abraham als Leihmutter schwanger geworden war. Danach verweigerte sie ihrer kinderlosen Chefin Sara den Respekt. Als die sie bestrafen wollte, floh sie in die Wüste. Selbst dran schuld, wenn sie dort umgekommen wäre. Aber Gott hat sie in ihrem Elend "gesehen" und ihr weiter geholfen.

Gott "sieht" uns sehr kritisch auf die Finger, kennt unsre Fehler und schützt uns nicht immer vor den Folgen, wie bei mir.

Aber ist er sich selbst gegenüber auch so kritisch? "Siehe, es war sehr gut" klingt etwas voreilig. Denn wie gut oder schlecht ein Produkt ist, erweist sich erst im Laufe der Zeit. Und was heute genau das Richtige ist, kann in einer anderen Situation grundfalsch sein. Das steht nämlich auch in der Bibel: Nach der Erschaffung der Welt und der Menschen kam der Sündenfall (Genesis 3) und der Mensch trieb es so weit, dass Gott bereute, dass er ihn erschaffen hatte (Genesis 6,5.6), und drauf und dran war, seine Schöpfung zu vernichten - durch die Sintflut. Mangelnde Selbstkritik kann man dem Schöpfer nicht nachsagen!

Und wenn sogar Gott Fehler einsieht und bereut, brauchen auch wir nicht stur weiterzumachen, sondern dürfen einsehen, bereuen und unser Verhalten ändern.

"Und siehe, es war sehr gut" ist trotzdem richtig. Das muss erst mal einer nachmachen, etwas erschaffen, was 14 Milliarden Jahre funktioniert. In meiner kleinen Welt ist dauernd was kaputt und ich halte auch nicht ewig. So müssen wir das sehen! Ich möchte nicht wissen, wie viele Ewigkeiten der Schöpfer dran rumgebastelt hat, bis er eine Welt hatte, die nicht gleich wieder zerfallen ist!

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner