Wahrhaft wunderbar - Boos '98

Der 1. Tag, an dem wir das Mondlicht lieben lernen und Papier uns den Schlaf raubt

Der 2. Tag, an dem jeder tut, was er will und viele sehr jung aussehen

Der 3. Tag, an dem der letzte Akt entfällt und das Kartenspiel es ihm gleich tut

Der 4. Tag, an dem der Kreis sich schließt und Schilda wieder sauber wird

Es ist an mir, euch etwas von den wunderbaren Geschehnissen zu berichten, die sich am verlängerten Wochenende Anfang Mai des Jahres 1998 a.D. in Boos an der Nahe ereigneten. Dafür gilt es zuerst, das Rad der Zeit um einige Jahre zurückzudrehen, und zwar genau in das Jahr des Herrn 1994. Damals hatte der Christliche Verein Junger Menschen, kurz CVJM, eine Jugendfreizeit in das besagte Dorf in der Pfalz organisiert, und schon damals schien allen klar zu sein, dass sie das Bootshaus an der Nahe, einem kleinen Fluss, der bei Bingen in den Rhein fließt, nicht zum letzten Mal sehen sollten. Und siehe da, keine 4 Jahre nach dieser Freizeit fanden sich nach und nach 13 Mitarbeiter des CVJM Reinheim, alteingesessene sowie neudazugekommene im Speiseraum - Saal wäre an dieser Stelle zu hoch gegriffen - des Hauses Schilda ein, das im Volksmund einfach nur Bootshaus genannt wird. Welch treffliche Entscheidung! Es sollten ein paar schöne Tage werden.

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Der 1. Tag,
an dem wir das Mondlicht lieben lernen und Papier uns den Schlaf raubt

Nach der Ankunft entschlossen sich einige, trotz der hereinbrechenden Dunkelheit doch noch die Funktionsfähigkeit der mitgebrachten Kanus zu prüfen. Das allein war schon ein aufregendes Unterfangen. Nicht etwa, dass es Aufruhr gegeben hätte wegen unerfahrenen Anfängern. Es war einfach die romantische Stimmung, die uns vom hellen Mond herunterschien. Auch nachdem wir den Schein der Leuchten am Bootshaus verlassen hatten, lieferte er uns doch genug Licht, so dass wir uns ohne Fackeln zurechtfinden konnten. Es sollte dennoch an diesem Abend noch sehr spät werden. Als wir wieder mit den Kanus beim Bootshaus angekommen waren, die Boote aus dem Wasser auf eine nahe Wiese getragen und gesäubert hatten, gab es zuerst ein ausgedehntes Abendessen.

Bild der Küchendienst-KetteNeben Brotstullen, die sich ein jeder aufs eigene Wohl selbst belegte, wurde auch eine vorzügliche Erbsensuppe gereicht. Der Abwasch gestaltete sich im übrigen auf äußerst neumodische Weise. Die Tätigen wandten das sogenannte Fließbandverfahren an, in welchem die Arbeitsgänge des Säuberns, Spülens und Verstauens auf mehrere Personen verteilt wurden. Das erwies sich zwar nicht als effektiv, jedoch als sehr unterhaltsam.

Nachdem alle angefallenen Arbeiten erledigt waren, hielt Gerrit eine Abendandacht. Dazu las er eine Geschichte aus Afrika vor aus einem Buch, das uns über das Wochenende begleiten sollte. Der Titel dieses Buches ist mir dennoch entfallen. Jetzt ging es daran, ein für meine Wenigkeit, der ich euch dies berichte, neues Spiel mit Karten auf Herz und Nieren zu untersuchen. Auf Herz und Nieren, weil wir bis nach Mitternacht an diesem Spiel saßen. Ein Spiel, das uns alle faszinierte, von dem aber niemand weiß, wie es geschrieben wird. So lasst es mich einfach schreiben, wie man es spricht: Käims. Den Ablauf dieses Spieles zu erläutern, würde den sowieso schon belasteten Rahmen dieses Textes sprengen. Ich empfehle aber jedem unwissenden, das Spiel bei Gerrit, dem Importeur dieses Spaßes, zu erfragen. Nach Beendigung des Spiels (wären wir nicht so erschlagen gewesen von der Fülle des vergangenen Tages, wir hätten es bis zum Morgengrauen gespielt) gingen alle auf ihre Schlafstatt und schliefen bald unter dem Segen des Herrn ein.

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Der 2. Tag,
an dem jeder tut, was er will, und viele sehr jung aussehen

Unsere Geschichte geht am Morgen des Freitags weiter. Über die einzelnen Erlebnisse des Nachts will ich an dieser Stelle nicht berichten, wenn es überhaupt etwas zu berichten gäbe. Wir sollten schon bald feststellen, dass die folgenden Tage nach einem bestimmten Muster ablaufen würden. Ein wichtiger Punkt des täglichen Ablaufs war die Morgenandacht. Sie begann zur achten Stunde und wurde an diesem Freitag von Jörg, dem Schatzmeister gehalten. Sie dauerte der Minuten dreißig, dann folgte eine kleine Stärkung in den Tag. Die bestand wiederum aus Brot, diesmal gab es auch Marmeladen und Nougat zur Auswahl, und mehrere Sorten Getreideflocken, die mit Milch einzunehmen sind. Auch die Fließbandmethode des Abwaschens sollte zu einem fest mit den Mahlzeiten verbundenen Programmpunkt werden.

Bild Kanu auf der NaheNach erfolgreichem Abschluss und sauberen Tellern folgten einige Stunden zur freien Verfügung. Viele nutzten die Zeit zum Müßiggang in der schönen frischen Natur des späten Frühlings. Andere ersannen ein Stück, das zu einem späteren Zeitpunkt in einem Lichtspiel Verwendung finden sollte. Mir selbst ist solche Kunst nicht in die Wiege gelegt, so zog ich es vor, mir ein liebes Weib an den Arm zu nehmen und mit ihr eine kleine Bootsfahrt zu unternehmen. Ich hoffe, die anderen haben den Vormittag gleichermaßen genossen, wie ich es tat. Das besagte junge Fräulein muss in mir einiges angerichtet haben, denn ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, was es an diesem Freitag zu Mittag gab.

Doch schon bald folgte das nächste Traktandum, das ich bestimmt nicht vergessen werde. Gerrit hielt uns einen Vortrag über die Struktur und Organisation des CVJM, von den Ortsvereinen bis hin zu der den gesamten Globus umspannenden Weltorganisation, dem Weltverband. Gerrit besitzt die unangenehme Eigenschaft, so ausgefeilte und wortgewandte Vorträge zu halten, dass es für einen einfachen Schreiber wie mich ein Ding der Unmöglichkeit ist, ihnen in einer Nacherzählung nur annähernd gerecht zu werden. Doch meine geehrte Leserschaft sei gewiss, dass wir alle, die wir ihm lauschten, aufs äußerste angetan waren und diese Rede unser Lebtag nicht vergessen werden. Wir verschwitzten vor lauter Begeisterung sogar die Zeit und nahmen so erst verspätet unser Abendmahl ein. Meinen aufmerksamen Lesern muss ich wohl nicht erzählen, wie der Abwasch vonstatten ging. Am Abend präsentierte uns Gustav einige Dias zur Erinnerung an frühere Zeiten. Chronologisch begannen sie kurz vor der Gründung des CVJM in Reinheim, und sie führten uns bis in die Gegenwart. Das amüsanteste an dieser Reise durch die Vergangenheit war wohl, einige Mitfahrer in jüngeren Jahren zu betrachten. Ich für meinen Teil war sehr von mir selbst überrascht. Den gewitzteren unter meinen verehrten Lesern mag es evident erscheinen, dass selbst an solch außergewöhnlichen Tagen der Mensch nach einer gewissen Gewohnheit strebt. So setzten sich auch an diesem Abend noch viele um die große Tafel, um dem Kartenspiel zu frönen. Die Devise hieß "Käims" und so sollte es auch an den folgenden Abenden sein. Sicher mussten viele in dieser Nacht das Erlebte verarbeiten, doch das bleibt jedermanns Intimität und soll uns auch hier nicht weiter interessieren.

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Der 3. Tag,
an dem der letzte Akt entfällt und das Kartenspiel es ihm gleich tut

Es ist der Morgen eines neuen, wunderschönen Tages. Die Sonne, eine goldene Scheibe am Firmament, sendet warme, gütige Strahlen aus. Die Vöglein tirilieren, man spürt, dass nun endlich unsere warme Jahreszeit auch in uns aufgeht. Und dann erwache ich. Was in den Traumbildern so mancher Menschen so wunderbar begonnen hatte, stellte sich nach dem Aufstehen als eine ironische Verkehrung des Wirklichen dar. Der Himmel war von Wolken verhangen, gerade begann es zu regnen. Doch auch diesmal sollten wir alle unsere Belehrung erhalten. Julia war mit der Aufgabe betraut worden, eine Andacht für eben diesen Morgen zu ersinnen. Und man mag es jetzt als Schicksal oder göttliche Fügung ansehen (meine Wenigkeit zieht letzteres vor), Tatsache ist jedoch, dass Julia gerade über das leidige Thema von Zuversichtlichkeit und Schwarzseherei referierte. Wir alle konnten als Quintessenz ihres wahrhaft klugen Vortrags ziehen, dass Zuversichtlichkeit eng mit der Lebensfreude verknüpft ist, und dass so mancher Frohnatur ein langes Leben beschert wurde. Nach der folgenden Stärkung ging es daran, das gestern ersonnene Stück in die Tat, oder besser in ein Lichtspiel umzusetzen. Über die Handlung möchte ich hier nicht allzu viele Worte verlieren. Gesagt sei nur, dass dieses Stück als ein dritter Teil einer Trilogie zu betrachten ist. Des weiteren will ich meine lieben Leserinnen und Leser an das vermaledeite Wetter erinnern, das an diesem Sonnabend herrschte. Es ist dafür verantwortlich zu machen, dass unsere lieben Akteure auf den dritten Akt verzichten mussten. Ein Verlust, der nur mit einer weiteren Fortsetzung wieder wettzumachen wäre. Da ich selbst mich über den gesamten Vormittag bei dieser Gruppe aufhielt, kann ich Euch leider nicht berichten, was diejenigen unternahmen, die an unserem Lichtspiel kein Interesse fanden. Es waren jedoch einige aufs Höchste enttäuscht, als nach dem Mittagsmahl nicht mit dem geplanten Ablauf fortgefahren werden konnte, da das Lichtspiel noch nicht vollendet war. So beschränkten wir uns auf die ersten zwei Akte. Wir konnten so bald in einem Spiel weiteragieren. Jenes Spiel versetzte uns alle in die Rolle eines Betreuers, der auf einer Fahrt mit Kindern so manches Haarsträubende erlebt. Mir ist nicht bekannt, was die anderen von diesem Spiel hielten und davon für sich mit nach Hause nehmen konnten. Meine Leser mögen jedoch wissen, dass mir dieses Spiel, trotz dass es mir bekannt, meinen Blick sehr geweitet hat. Um diese Schrift nicht allzu lang werden zu lassen, verzichte ich auf die Beschreibung des wieder einmal sehr sättigenden Nachtmahls und springe direkt zu den Geschehnissen, die uns an diesem Abend noch ereilen sollten. Was als Diskussion über die beim nachmittäglichen Spiel aufgekommen Fragen geplant war, mündete in eine sehr ansprechende Disputation über den Sinn unseres heiligen Vaterunsers und besonders der in ihm gesetzten Pausen. Dieses Gespräch wiederum wurde von einigen geschickt in das Singen einiger christlicher Lieder übergeleitet. Die Lieder sollten in einer Messe zum Anlass unseres 17. Jahrestages verwendet werden. Aufgrund der nun doch schon weit vorgerückten Stunde verzichteten wir auf unser allabendliches Kartenspiel, und die Letzten fielen zum Ende der Geisterstunde in ihre Betten.

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Der 4. Tag,
an dem der Kreis sich schließt und Schilda wieder sauber wird

Bild Abschluß- gottesdienstEs erwartete uns Mitarbeiter ein wahrhaft sonntäglicher Sonntag. Das Wetter hatte sich im Laufe der Nacht abermals gewandelt, doch das Gewichtigere war die Tatsache, dass wir alle länger schlafen konnten. Zwar entfiel die nun schon uns allen zur lieben Gewohnheit gewordene Morgenandacht, sie wurde aber mit einer Messe nach dem Morgenmahl aufgewogen. An diesem Gottesdienst hatte jeder die Möglichkeit, etwas von sich aus beizutragen. Nachdem wir den Segen empfangen hatten, reichte Jörg jedem von uns noch ein Präsent zur Erinnerung an dieses unglaubliche Wochenende, dann wurde mit dem lästigen Ordnungmachen begonnen. Da sich aber alle bis auf zwei, welche das Mittagsmahl vorbereiteten, an der Arbeit beteiligten, war sie flugs erledigt. Zur Stärkung gab es Reste von den Vortagen: Gestampfte Kartoffeln und Bratwürstchen. Als Vorspeise diente Erbsensuppe, und somit war der Bogen geschlagen zum ersten Tag, an dem wir jene Suppe ebenfalls genießen durften. Andere Erinnerungen und kritische Betrachtung fanden in einer Erzählrunde Gehör, zu der nach dem Essen eingeladen wurde. Was daraufhin noch passierte, müssen meine hochverehrten Leserinnen und Leser von anderen erfahren. Ich musste nämlich schon früh unser geliebtes Bootshaus "Schilda" in Boos an der Nahe verlassen, da mich terminliche Vereinbarungen drängten.

Von meiner lieben Leserschaft möchte ich mich an dieser Stelle verabschieden und ihr für ihr Interesse danken.

Gott segne Euch!

Dominik Tischner