Besuch aus Sierra Leone in Eberstadt

Am Mittwoch und Donnerstag, den 23. und 24.09.1998, waren drei Freunde aus dem YMCA Sierra Leone im CVJM Darmstadt-Eberstadt. Einer kam aus den Flüchtlingscamps in Guinea, ein anderer (Josephus) aus dem YMCA Bo im südlichen Teil Sierra Leones und der dritte war Ken Kromanty aus Waterloo, der bereits früher einmal in Deutschland war und damals auch uns in Ueberau besucht hat. Ken ist übrigens ein Bruder von Alex, der zusammen mit Dick vor vielen Jahren als erste Westafrikanis in der Teestubb in Ueberau zu Gast war. Davon existiert noch ein Photo, das uns alle zusammen vor der Weltkarte im Gemeindehaus zeigt.

Im Rahmen der Eberstädter Bibelstunde berichteten alle drei von der bösen Zeit der Rebellenherrschaft und der jetzigen Normalisierung.

In Waterloo richteten sich die Rebellen in der Schule ein, in der Ken als Lehrer arbeitet. Natürlich musste der Schulbetrieb sofort eingestellt werden, und auch das öffentliche Leben kam in Waterloo, einer Stadt mit rund 24.000 Einwohner ca. 40 km südwestlich von Freetown (der Hauptstadt von Sierra Leone), weitgehend zum Erliegen. Viele Menschen flohen nach Freetown oder sogar nach Guinea. Im YMCA-Heim in Waterloo traf man sich aber weiterhin, und eben deshalb kamen auch zahlreiche Menschen dorthin, die sonst nichts mit dem YMCA am Hut hatten. Einige dieser Menschen blieben über die Rebellenzeit hinaus beim YMCA, so dass der Verein gerade in dieser schlimmen Zeit gewachsen ist.

Die Rebellenarmee bestand übrigens großenteils aus Kindersoldaten ab etwa 10 Jahren, die von übriggebliebenen Rebellen aus Liberia in Sierra Leone entführt oder geworben und dann unter Drogen gesetzt wurden.
Etwa 500 dieser schwer bewaffneten Kindersoldaten beherrschten und drangsalierten die ganze Stadt. Sie zwangen die Bevölkerung, ihnen Nahrung zu geben, und es kam zu widerwärtigen Grausamkeiten.

Inzwischen wurden die Rebellen von der ECOMOG-Armee (aufgestellt von einigen westafrikanischen Staaten unter Führung Nigerias) in den Busch getrieben und immer weiter nach Osten abgedrängt. Man hofft, sie auf Dauer in Schach halten zu können. Gleichzeitig hat die ECOMOG begonnen, wieder eine regierungstreue Sierra Leone-Armee aufzubauen.

Wer wird die Kindersoldaten einmal resozialisieren können, wenn der Krieg endgültig vorbei ist?

Bo im Landesinneren war ganz besonders schlimm von den Kriegswirren betroffen. Viele Menschen wurden getötet oder verstümmelt. Hier konzentrierten sich auch viele Flüchtlinge aus anderen Landesteilen. Der YMCA in Bo mühte sich darum, möglichst vielen Flüchtlingskindern einen Schulbesuch zu ermöglichen. Dabei wurde er nach Kräften von CVJMs in Deutschland unterstützt. Josephus war für dieses Flüchtlingsprogramm verantwortlich und konnte ebenfalls berichten, dass der YMCA infolge der Kriegswirren gewachsen ist. Zur Unterstützung dieser auch weiterhin notwendigen Arbeit dienen auch die Kleidersammlungen, an denen auch unser CVJM Reinheim mehrfach beteiligt war (Nächste Sammlung von Sommerkleidung, Schuhen, Taschen, Koffer usw. voraussichtlich im Frühjahr).

Im Osten Sierra Leones, der an Liberia grenzt, waren die Rebellen zuerst. Hier liegen auch die reichen Diamantenminen, auf die sie es abgesehen hatten. Die Bevölkerung floh über die nahegelegene Grenze nach Guinea und viele Tausende leben dort seit mehreren Jahren in Flüchtlingslagern, z.T. von der UNO notdürftig versorgt. Im Osten Sierra Leones gab es vor dem Rebelleneinfall zwei YMCAs. In den Flüchtlingslagern trafen sich einige YMCA-Mitglieder (anfangs zehn) und überlegten, ob und wie sie weiterarbeiten könnten. Dank der Unterstützung eines Pfarrers aus Guinea erhielten sie die Erlaubnis, in den Lagern YMCA-Arbeit aufzubauen. Heute bestehen in den Lagern sieben YMCA. Wenn also - hoffentlich bald - die Möglichkeit zur Rückkehr nach Sierra Leone gegeben ist, wird es nicht in zwei, sondern in sieben Ortschaften einen YMCA geben. Außerdem wurde die YMCA-Arbeit in Guinea neu aktiviert, so dass auch nach Auflösung der Lager in diesem Gebiet YMCA-Arbeit fortbestehen wird.

Viel Not und viel Elend, aber Gott schenkte nicht nur ein Fortbestehen, sondern sogar ein Wachstum der christlichen Vereinsarbeit. Besonders glücklich und dankbar sind alle dafür, dass in ihren Regionen kein YMCA-Mitglied umgekommen ist. Alle bedankten sich sehr für die vielen Gebete und die materielle Hilfe. Sie fuhren von Eberstadt aus weiter nach Wuppertal, um dort an den Gesamtvorstandssitzungen des CVJM und an den offiziellen Feiern zum 150jährigen Bestehen des CVJM-Westbundes teilzunehmen. Am 3.10.1998 wollten sie zurück nach Sierra Leone fliegen.

G. A. Langenbruch