Wort für den Monat Oktober 2003

Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? (Hiob 2,10)

"Ich will alles, und zwar sofort," sagt der moderne Mensch. "Warum soll ich irgendwas entbehren? Warum soll ich auf was warten? Ich will alles, und zwar sofort."

Wobei es uns bewusst ist, dass es gar nicht gut ist, alles auf einmal zu bekommen. Wer zu viel isst, verdirbt sich den Magen und sammelt Pfunde. Und wer schon viel essen will, der tut gut daran, sich dazu Zeit zu nehmen, weil er gar nicht alles auf einmal verdauen kann. Schon dieses Beispiel zeigt, dass es besser ist, kleinere Portionen zu nehmen und sich Zeit zu lassen.

"Ich will alles, und zwar sofort" soll bestimmt nicht heißen "Ich will auch das Schlechte: Misserfolg, Pech, Verlust, Unfall, Krankheit, Tod." Davor wollen wir uns ja alle hüten. Aber wissen wir denn, was für uns gut ist? Ich habe gelernt, manche Süßigkeiten zu meiden, weil ich ein paar Stunden später garantiert eine Zahnfleischentzündung habe. Aber nicht immer weiß ich, was ich mir schadet und was nicht. Manches, was gut aussah, war in Wirklichkeit schlecht, und manches, was mich erst geärgert hat, hat mir am Ende gut getan.

Die Bibel erzählt die Geschichte eines Mannes, die auf Evangelisch Hiob, auf Ökumenisch Ijob heißt. Der brauchte gar nicht erst alles zu wollen, denn er hatte schon alles, was das Herz eines altorientalischen Patriarchen erfreuen konnte: Frau und prächtige Kinder, große Herden, Karawanen und Handelsschiffe. Was braucht der Mensch mehr? Dazu war er, so die Bibel, ein grundanständiger Mensch, dem man nichts vorwerfen konnte und der sich sogar Sorgen machte, dass sich seine Kinder nicht versündigten, wenn sie einmal eine Party feierten.

Dann verliert Hiob alles, und zwar sofort: Die Kinder kommen bei einem Unglück ums Leben, ein Sturm verschlingt die Flotte und Räuber nehmen ihm Herden und Karawane. Zu allem Überfluss verliert Hiob auch noch seine Gesundheit. Was ihm bleibt, ist sein Leben, ein unerträgliches Jucken am ganzen Körper, seine Frau, die ihm den Kopf voll jammert, eine Handvoll Freunde, die ihm Vorwürfe machen, die Müllhalde als Wohnsitz sowie eine Scherbe zum Kratzen.

Mit den Freunden führt er später heiße Diskussionen, aber das Gejammer seiner Frau bringt er mit einem einzigen Satz zum Verstummen: "Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?"

Das Gute nehmen wir so selbstverständlich hin und können nicht genug von kriegen. Es steht zwar nicht ausdrücklich da, aber ich könnte mir vorstellen, dass der fromme Hiob sich dafür regelmäßig bei Gott bedankt hat, und zwar nicht nur beim jährlichen Erntedankfest. Jedenfalls heißt es, dass kein Armer umsonst an seiner Tür geklopft hatte. Sein Dank war auch die Anerkenntnis, dass "Reichtum verpflichtet".

Aber Hiob nimmt nicht nur das Gute aus Gottes Hand, sondern auch das, was ihm nicht gefällt, den Tod seiner Kinder, die Verluste, die Krankheit, die Müllhalde.

Das kann nur, wer ein starkes Gottvertrauen hat. Das kann nur, wer überzeugt ist, dass Gott allein weiß, was uns gut tut und was nicht, und dass er auch aus dem Bösesten Gutes wachsen lassen kann.

Wer das glaubt, kann dann mit Mörike beten:
"Herr, schicke, was du willt,
ein Liebes oder Leides.
Ich bin vergnügt, das beides
aus deinen Händen quillt."

Heinrich Tischner