Wort für den Monat Juni 2004

Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark! Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. (1. Korinther 16,13+14)

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieser Spruch hat mich zuerst ziemlich provoziert: Paulus gebraucht hier militärische Bilder: "Stellt Wachen auf, haltet die Stellung, seid Männer und keine Weicheier, reißt euch zusammen und strengt alle eure Kräfte an! Denkt an eure Frauen und Kinder und tut alles aus Liebe zum Vaterland!" So haben Feldherren ihre Krieger vor der Schlacht angefeuert.

Es gab Zeiten, da waren solche kriegerischen Bilder vom Glauben sehr beliebt. In meiner Jugend – ein Jahrzehnt nach Kriegsende – hat man uns Lieder beigebracht wie "mannhafte Jugend steht freudig im Kampf, wenn Christus der Heerführer ist." Heute schüttelt es mich, wenn ich daran denke. Das klingt doch verdächtig nach dem heiligen Krieg gegen den bösen Feind im Osten.

Paulus und die Liederdichter dachten an eine geistige und nicht an eine militärische Auseinandersetzung. So habe ich das damals auch verstanden: Gegner sind nicht Menschen, sondern mein innerer Schweinehund und der Unglaube unserer Zeit. So etwa hat es auch Paulus gemeint und so müssen wir seine Worte verstehen:

1. "Seid wachsam" und kritisch. Glaubt nicht bedenkenlos alles, was man euch weismachen will, sondern prüft, ob es wahr ist und dem entspricht, was Jesus gewollt hat. Das gilt nicht nur für den Glauben. Das Internetz bietet uns ungeahnte Möglichkeiten zur Information. Es werden aber auch viele Halbwahrheiten und offensichtliche Fehler ungeprüft weiterverbreitet. Darum seid auch da wachsam und kritisch und glaubt nicht alles, was man euch weismachen will!

2. "Steht fest im Glauben" und steht zu eurer Meinung. Die Angsthasen sind im Krieg davongelaufen – je schneller, desto feiger. Der brave Soldat blieb in seiner Stellung – je beharrlicher, desto braver. Die Tapfersten haben ebenfalls ihre Stellung verlassen und sind auf den Feind zugegangen – je schneller, desto tapferer. So ist es auch bei Diskussionen mit Menschen, die nicht unseren Glauben teilen. Es ist nicht unsere Aufgabe, ängstlich das Evangelium zu verteidigen und Positionen zu wahren, sondern wahre Stärke zeigt sich darin, dass wir auf unsere Gesprächspartner zugehen können, ohne unsere "Stellung" aufzugeben und unseren Glauben zu verraten.

3. "Seid mutig und seid stark". Heute würden wir sagen: Bleibt cool und lasst euch nicht aus der Fassung bringen. Wer hinter jedem Menschen einen Feind und hinter allem, was er nicht versteht, Ketzerei und Unglauben wittert, ist genauso erbärmlich und schwach wie einer, der meint, dauernd draufhauen zu müssen. Die großen Hunde sind es nicht, die dauernd kläffen, und die kleinen haben's nötig.

4. "Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe", und zwar nicht nur aus Liebe zu Gott und Jesus, sondern aus unbedingter Liebe zu allen Menschen. Die einseitige Liebe zu Idealen hat schon zu entsetzlichen Kriegen und Verbrechen geführt. Darum hat Jesus nicht nur gesagt "Liebe Gott", sondern auch: "Sei lieb zu deinem Nächsten, sogar zu deinem Feind."

Vom heiligen Martin wird nicht nur die Geschichte von dem geteilten Mantel erzählt. Er musste seinen Wehrdienst ableisten und hat, als es Ernst wurde, den Dienst mit der Waffe verweigert. Um zu zeigen, dass er keine Angst hatte, bot er sich an, am nächsten Morgen ohne Waffen den angreifenden Barbaren entgegenzugehen. Man setzte ihn über Nacht hinter Gitter. Aber am nächsten Morgen schickten die Feinde eine Gesandtschaft und baten um Frieden. Zu dem, was Martin wollte, gehört noch mehr Tapferkeit: ungeschützt auf andere Menschen zuzugehen. Zu Feinden werden sie oft nur dadurch, dass wir meinen, unsere Zähne zeigen zu müssen.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner