Wort für den Monat August 2004

Ich glaube; hilf meinem Unglauben! (Markus 9,24)

Liebe Leserin, lieber Leser,

glaubst du an Wunder? Ich glaube dran, denn ich habe mehrere erlebt. Eine einzige Akupunktur hat mich von einem bösartigen Husten befreit, der mich jahrelang gequält hat. Wie bitte, das ist kein Wunder, sondern die Kunst des Arztes? Dann lass dich auch mal mit einer einzigen Akupunktur von einem bösartigen Husten befreien, und dann unterhalten wir uns weiter.

Noch ein Wunder: Bei einer Wanderung im Westerwald hatten wir den Anschluss an die Hauptgruppe verloren und waren auf einen falschen Weg gekommen. Es war schon dunkel. Da kam mitten im tiefen Wald ein Auto, las uns auf und brachte uns zum Ziel. Das glaubst du nicht? In dem Auto saß ein Waldarbeiter, der Feierabend hatte.

Ein Wunder ist nicht etwas Unmögliches, sondern etwas Ungewöhnliches, über das wir uns wundern. Etwas, was wir kaum zu hoffen gewagt hätten (wie bei der Akupunktur) oder was genau zur rechten Zeit kam (wie der Waldarbeiter).

Müssen wir an Wunder glauben? Müssen wir unser Hirn verrenken, um selig zu werden und vor Gott bestehen zu können? Ich sage: Nein. Denn der Glaube, auf den's ankommt, ist was Anderes.

Das zeigt uns die Geschichte, aus der unser Monatsspruch stammt: Ein Vater hat einen Sohn, der ist Epileptiker. Der Mann weiß sich nicht mehr zu helfen. In seiner Not wendet er sich an die Jünger, aber die sind genauso machtlos. Schließlich kommt Jesus vorbei. Der Vater schildert ihm seine Not und bittet ihn: "Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns." – Jesus: "Du sagst: Wenn du etwas kannst – alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt." Da antwortet der Vater: "Ich glaube; hilf meinem Unglauben!"

Du merkst: Dem Vater geht's nicht drum, dass er gern glauben möchte, dass Jesus Gottes Sohn ist und tatsächlich vor kurzem mit Mose und Elija gesprochen hat (Markus 9,2-9), oder dass Mose das Schilfmeer gespalten hat (2. Mose 14) und Elija Feuer vom Himmel hat fallen lassen (1. Könige 18). Davon wird sein Sohn nicht gesund. Sondern er will, dass der Sohn von seiner Epilepsie geheilt wird, und dazu muss er glauben, dass Jesus ihm helfen kann.

Der Glaube, auf den's ankommt, ist kein Verzicht auf den gesunden Menschenverstand, kein Mangel an Kritikfähigkeit, sondern die Bereitschaft, sich helfen zu lassen, und Vertrauen zu dem, der helfen kann.

Es muss noch nicht mal der eiserne Wille sein, eine Lösung zu finden und gesund zu werden. Wir sagen: "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg". Aber was ist, wenn wir zu schwach sind zu wollen? Der junge Mann in der Geschichte wird gar nicht erst gefragt. Er ist ein willenloses Opfer seiner Behinderung. Der Vater hat sicher auch keinen starken Willen mehr nach der Enttäuschung, die er gerade erlebt hat. Er schätzt sich selbst als "ungläubig" ein, d.h. er hat fast den Glauben verloren, dass er doch noch Hilfe findet. Er ist nahe dran aufzugeben und sich damit abzufinden, dass sein Sohn kein normales Leben führen kann.

Jesus geht nicht gerade feinfühlig mit ihm um. Statt ihm Mut zu machen, wie es nötig ist, scheint er ihn mit allgemeinen Wahrheiten zu belehren – und ihn damit zu provozieren. Er weckt das letzte bisschen Willen und Hoffnung in dem verzweifelten Mann: "Hilf meinem Unglauben", hilf mir trotz meiner Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Erst jetzt kann Jesus tätig werden und macht den Sohn gesund.

Glauben heißt nicht Unmögliches für wahr halten, sondern die Chance ergreifen, die sich bietet. Für mich war die Chance, dass das Auto kam und der Fahrer mich zum Mitfahren einlud. Vielleicht war es leichtsinnig gewesen von mir, nachts im Wald in ein unbekanntes Auto zu steigen. Ich hab's gewagt, und mein "Glaube" an den guten Willen des Fahrers hat mich nicht enttäuscht.

Trotzdem glaube ich nicht an hilfreiche Waldarbeiter, sondern an Gott, der mir helfen kann und schon oft geholfen hat.

Mit freundlichen Grüßen

H. Tischner