Wort für den Monat November 2005

Der Gott des Friedens heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. (1. Brief an die Thessalonicher 5,23)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Scheinheiligeres gibt jede Menge Scheinheilige. Das sind Menschen, die haben einen Heiligenschein. Zugegeben, ich habe noch niemand gesehen, der eine leuchtende runde Neonröhre überm Kopf schweben hat oder einen Scheinwerfer in der Frisur versteckt. Solche Heiligenscheine sieht man nur auf alten Bildern, damit man erkennen kann, dass das ein Heiliger ist: Er hat einen Schein am Kopf, also ein Heiliger, und einen Schlüssel in der Hand, also Sankt Peter.

Nein, ich meine mit dem Heiligenschein ein Papier, auf dem bescheinigt wird, dass man heilig ist: Taufschein, Konfirmationsurkunde, Bescheinigung über die kirchliche Trauung, das "richtige" Gesangbuch, vielleicht sogar ein CVJM-Ausweis, ein Kreuz um den Hals oder einen Fisch am Auto. Man soll doch sehen und sich ausweisen können, dass man Christ ist.

Was uns als Christen ausweist, ist aber nicht unser Schein, sondern unser Sein, unsere ganze Existenz, unser Leben, unser Verhalten. Von den ersten Christen soll man gesagt haben: "Seht, wie sie einander lieb haben." Das war ihr Heiligenschein. Bei ihnen hat "die Chemie gestimmt". So stelle ich mir heile, integre, ganze Menschen vor, bei dem alles zusammenpasst: Sie handeln, wie sie glauben und machen nicht bloß große Worte. Sie glauben und handeln aber auch nicht bloß wortlos, sondern können auch in Worte fassen, was sie bewegt. Und sie handeln und reden nicht nur, sondern stehen mit ihrer ganzen Existenz dahinter.

Paulus ermahnt uns in dem Monatsspruch aber nicht, noch vollkommener, noch in sich stimmiger, noch heiliger zu werden. Sondern was er da formuliert ist ein Gebet, ja ein Segen: Gott soll uns heiligen, heilig machen.

Was ist das eigentlich, heilig? Heilig ist die Eigenschaft Gottes. Es gibt im Hebräischen kein Wort für 'göttlich'; wozu die Griechen "göttlich" sagten, das nannten die Hebräer "heilig". So kam dieser Begriff ins neue Testament und in den christlichen Sprachgebrauch: Gott gibt uns etwas von seiner Heiligkeit ab. Wir werden göttlich, bekommen Anteil an Gott. Diesen Anteil können wir uns nicht verdienen, sondern er schenkt ihn uns. Ein unbefristetes Schnäppchen, liegt abrufbereit und braucht bloß in Anspruch genommen werden.

Soviel zum biblischen Ausdruck. Unser deutsches Wort ist aber nicht von "Gott", sondern von "Heil" und "heil" abgeleitet. "Heil" im Sinne von 'Wohlergehen, innen und außen, rundherum" und "heil" im Sinne von 'ganz, nicht kaputt', und 'umfassend, nicht nur teilweise'. "Heilig" ist also heilhaltig, Heil enthaltend.

Gottes Wesen ist Heil, oder wie's Paulus formuliert, "Frieden". Im Frieden ist die Welt in Ordnung, keine zerstörten Häuser, keine zerfetzten Menschen, keine Angst vor Angriffen, sondern ungestörtes Leben, funktionierende Ordnung, Glück und Zufriedenheit. So ist Gott, so will er uns haben und so will er die Welt haben: göttlich und heilhaltig. So erfahrbar und spürbar, wie der Leuchtkringel über dem heiligen Petrus auf den Bildern sichtbar ist.

Den Heiligkeitssegen des Paulus spreche ich auch dir zu, liebe Leserin, lieber Leser: "Der Gott des Friedens heilige dich, gebe dir Anteil an seinem Heil, seinem Frieden und seiner Liebe und mache dich heil. Er erhalte dich in diesem Heil, Liebe und Frieden. Er bewahre dich vor dem Bösen, bis unser Herr Christus wiederkommt"

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner