Wort für den Monat Dezember 2005

Gott spricht: Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter ihren Flügeln. (Maleachi 3,20)

Liebe Leserin, lieber Leser,

gegen Ende des Unterrichts ließ ich meine Konfirmanden regelmäßig einen Aufsatz schreiben zum Thema: "Was habe ich davon, dass ich an Gott glaube?" Wie zu erwarten, kamen sehr unterschiedliche Antworten. Manche wussten mit der Frage nichts anzufangen und freuten sich darauf, dass sie kirchlich getraut und beerdigt würden, andere brachten sehr tiefsinnige Gedanken und eigene Glaubenserfahrungen.

Im letzten Buch des Alten Testaments machen sich die Frommen ähnliche Gedanken und fragen den Propheten Maleachi: "Es ist umsonst, dass man Gott dient; und was nützt es, dass wir sein Gebot halten und in Buße einhergehen vor Jahwe Zebaoth?" Wir spüren also hier nach tausendjähriger Glaubensgeschichte Müdigkeit und Resignation. Resümee: Glauben rentiert sich nicht.

Das erkennen die Gläubigen am Vergleich mit den Ungläubigen: Die kennen nur sich selbst und was ihrem Vorteil dient. "Von wegen Rücksicht nehmen, wo kommen wir da hin? Immer nur die Ellenbogen gebrauch und sich nach vorn boxen. Freie Bahn dem Tüchtigen! Wer nichts taugt, ist selbst dran schuld, wenn er untergebuttert wird." Der Erfolg scheint den Rücksichtslosen Recht zu geben. Und die Gewissenhaften, die nach dem Willen Gottes fragen, sind irritiert: Hieß es nicht: "Der Gerechte grünt wie ein Baum, aber die Gottlosen sind wie Spreu, die der Wind verstreut?"

Was hat der Prophet dazu zu sagen? Wir spüren seiner Antwort eine gewisse Hilflosigkeit ab: "Ihr werdet am Ende doch sehen, was für ein Unterschied ist zwischen dem Gerechten und dem Gottlosen." Denn beim Jüngsten Gericht werden die Gottlosen brennen. "Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heilung unter ihren Flügeln."

Ja gewiss, die Guten kommen in den Himmel und die Bösen in die Hölle. Ist das alles, was uns dazu einfällt? Mir schwebt da eine andere Art von Gericht vor Augen: Unsere Väter haben von 60 Jahren den Zusammenbruch der Diktatur und die Katastrophe des Kriegsendes als Gericht Gottes verstanden für das ungeheure Unrecht, das unser Volk auf sich geladen hatte. Das Gericht traf unser Volk als Ganzes, da gab's keine Unterschiede zwischen Guten und Bösen, beide sind in Stalingrad gefallen, beide sind in den zerbombten Städten verbrannt, beide wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Und beide haben überlebt und hatten die Chance für einen Neuanfang. Empörend für unser Gerechtigkeitsempfinden: Die Widerstandskämpfer wurden aufgeknüpft, mancher ehemalige Nazi hat nach dem Krieg Karriere gemacht.

Wo bleibt da die "Sonne der Gerechtigkeit"? Wir sind eingebunden in eine Schicksalsgemeinschaft aller Menschen und können uns nicht herausnehmen. Wir gestalten unser gemeinsames Schicksal selbst. Die Bösen spielen ihr Spiel und richten Unheil an. Wir wollen zu den Guten gehören. Sollen wir resignieren wie die Gläubigen zur Zeit Maleachis? Nein, auch wir versuchen unser Spiel zu spielen. Pardon, ich hab mich falsch ausgedrückt: Wir versuchen Gottes Spiel zu spielen und Gerechtigkeit zu üben, dann scheint uns garantiert die "Sonne der Gerechtigkeit", nicht nur uns, sondern allen Menschen.

Kriegsende und Nachkriegszeit leben nur noch in den Köpfen von uns Alten. Aber das Neue, das damals entstanden ist, wirkt fort bis in unsre heutige Zeit. Ein paar besonnene Menschen, darunter auch überzeugte Christen, haben nach dem Krieg eine neue Ordnung geschaffen, die uns jetzt 60 Jahre Frieden und Rechtstaatlichkeit geschenkt haben. Ich erkenne darin dankbar ein Gottesgeschenk. Gottes "Sonne der Gerechtigkeit" scheint über Gute und Böse, nicht erst am Jüngsten Tag, sondern schon heute. Das einzige, was wir tun können: das leben, was Gott uns schon längst geschenkt hat: Frieden, Heil und Gerechtigkeit.

Mit freundlichen Grüßen

H. Tischner