Jahreslosung 2006

Gott spricht: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht. (Josua 1,5b)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Gott werden wir nicht los. Jona hat versucht, ihn abzuschütteln, weil er nicht tun wollte, was Gott von ihm erwartete. Tut so was ein anständiger Mensch? Mal ehrlich: Gibt es das nicht auch noch heute, dass wir versuchen, Komplikationen aus dem Weg zu gehen? Wie oft verweigern wir uns dringenden Aufgaben: "Kein Bock, soll jemand anderes sich drum kümmern."

Manchmal gehört es ja zum guten Ton, dass wir uns nicht nach einer Aufgabe drängen, sondern so tun, als müssten wir uns erst breitschlagen lassen. Von einigen Berühmtheiten der Vergangenheit wird erzählt, dass sie sich davor drücken wollten, ein Amt zu übernehmen. Als Saul zum König gewählt wurde, hatte er sich versteckt und musste gesucht werden. Auch David war nicht da, als er gesalbt werden sollte. Der heilige Martin soll sich in einem Gänsestall verkrochen haben, als er zum Bischof gewählt wurde. Und Jona hat versucht, sich nach Spanien zu verdrücken. Aber Gott hat ihn gekriegt, hinten rum gehoben und nach Ninive geschickt, wo er ihn haben wollte.

Gott werden wir nicht los. Das weiß auch der Beter des 139. Psalms: "Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir." Luther hat das als positiv empfunden und positiv ausgedrückt. Anders sah es der Jude Martin Buber, der übersetzt: " Hinten, vorn engst du mich ein, legst auf mich deine Faust." Man kann sich in Gott geborgen fühlen wie Luther, aber auch von ihm bedrängt wie Jona. Gott engt uns manchmal ein, beschneidet unsre Möglichkeiten, drängt uns in eine bestimmte Richtung. Können wir uns dagegen wehren? Jona hat es erfolglos versucht. Besser statt erst mal Nein zu sagen, ist ein Gespür dafür zu bekommen, was Gott von uns erwartet, mit seinem Willen eins werden und uns drein fügen.

Ähnlich ist es dem Josua ergangen: Er, Mitarbeiter von Mose, soll nach dem Tod seines Chefs das schwere Amt der Nachfolge übernehmen. Hoffentlich hat er sich nicht danach gedrängt und heimlich drauf gelauert, dass der Alte endlich abtritt und Platz macht für den Jungen – soll ja ab und zu vorkommen. In der Bibel steht nichts davon, sondern er bekam von Gott den Auftrag und hat ihn übernommen. Von Gott? Kurz vorher (5. Mose 31,23) steht doch, dass Mose persönlich den Josua als Nachfolger bestimmt hat. Der Alte hat's so verfügt, darum ist es Gottes Willen – kann das sein? Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Menschen manchmal die Stimme Gottes sein können: Wenn mir von selbst eine Idee kommt und jemand anderes kommt unabhängig davon mit demselben Vorschlag, dann soll es ja wohl so sein.

Wie oft habe ich diese Worte gehört: "Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht… Sei getrost und unverzagt, denn Gott ist mir dir in allem, was du tun wirst". Worte, gesprochen bei meiner Ordination und bei vielen Amtseinführungen, bei Beauftragung von Mitarbeitern und anderen Gelegenheiten: Hab keine Angst, eine Aufgabe anzunehmen. Wir brauchen dich. Und wem Gott gibt ein Amt, dem gibt er auch Verstand.

Gebraucht werden, eine Aufgabe haben, ist gut und wohl auch Gottes Willen. Unser Problem heute ist aber, dass es einerseits nicht genug Arbeit für alle gibt. Hat Gott das auch gewollt, dass die einen sich kaputt arbeiten müssen und die anderen nichts tun dürfen? Es ist so leicht, etwas als "Gottes Willen" zu deklarieren. Vielleicht will Gott ja was ganz Anderes?

Und andererseits gibt es so viel zu tun, freiwillig und ehrenamtlich. Könnte da nicht auch eine Aufgabe für dich sein?

Für das neue Jahr wünsche ich dir Gottes Segen.

Mit freundlichen Grüßen

H. Tischner