Wort für den Monat September 2006

Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen. (Jesaja 8,32b)

Liebe Leserin, lieber Leser,

ein Bekannter sagte mal zu mir: "Ich rede, wie ich's grad brauche." Man durfte seine Worte nicht auf die Goldwaage legen.

In den letzten Jahren hatte ich viele Diskussionen mit Menschen, die mir die absonderlichsten Theorien darlegten. Einer hat sich in den Kopf gesetzt, das Wort "Heimat" komme von griechisch "haimatomon", das bedeuten soll 'der Ort, an dem eine Frau im Altertum ihre Monatsblutung hatte'. Ich hab nachgeguckt: 1. "Heimat" kommt von "Heim", 2. Das griechische Wort gab's im Altertum nicht. 3. Es wurde in der Neuzeit als medizinischer Fachausdruck neu gebildet ("Hämatom") und bedeutet 'Bluterguss'. Also alles falsch, was er sich gedacht hatte. "Nein", schrieb er, "es ist richtig, wir gehen nur von verschiedenen Voraussetzungen aus." Natürlich kann man von verschiedenen Ausgangspositionen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Es geht mir hier nicht um die Frage, wo das Wort "Heimat" herkommt, sondern um die Wahrheit. Ich glaube, dass es eine objektive Wahrheit gibt. Sie ist oft schwer herauszufinden oder uns ganz verborgen. Oft irren wir uns, haben nicht die nötigen Kenntnisse, gehen von falschen Voraussetzungen aus oder begnügen uns mit voreiligen Schlussfolgerungen. Da entsteht doch leicht der Eindruck, dass es eigentlich egal ist, wie wir eine Sache erklären, Hauptsache, wir treten selbstbewusst auf und tun, als ob wir von etwas überzeugt wären.

In Sachen Religion haben wir uns schon lange daran gewöhnt, dass es unterschiedliche Meinungen gibt. Die einen glauben, dass die Seele nach dem Tod weiterlebt, andere nicht, und wieder andere hoffen, dass sie nach dem Tod in einem neuen Körper wiedergeboren werden. Man sagt: "Wie das wirklich ist, können wir nicht wissen, also ist's egal, wie wir's uns vorstellen. Hauptsache, man glaubt daran."

Oder die aktuelle Frage: War Jesus mit der Magdalena verheiratet? In der Bibel steht nichts darüber, also kann man "von verschiedenen Voraussetzungen ausgehen" und unterschiedliche Meinungen vertreten.

Das wäre ja eigentlich auch egal, wenn man damit nicht die herkömmliche Überzeugung angreifen könnte, dass Jesus überhaupt nicht verheiratet war. Da steht also scheinbar gesunder Menschenverstand gegen "hirnrissige verstaubte Dogmen" und schon entsteht aus der Suche nach der Wahrheit ein Streit um Standpunkte, Wichtigtuerei und Rechthaberei. "Ich rede, wie ich's grad brauche und kümmere mich nicht um mein dummes Geschwätz von gestern."

Ich glaube aber, dass es eine objektive Wahrheit gibt. Der historische Jesus war entweder verheiratet oder er war nicht verheiratet. Eigentlich müssten wir das herausfinden können. Und wenn wir es nicht herauskriegen, ist das trotzdem keine Frage der Beliebigkeit, dann müssen wir ehrlich sagen: "Wir wissen es nicht."

Nicht ich behaupte, dass man die Wahrheit erkennen kann, sondern Jesus. Er meint nicht solche Denksportaufgaben, über die wir uns heute die Köpfe heiß reden. Seine Wahrheit ist eine andere: Wenn wir uns an das halten, was er gesagt hat, erkennen wir die Wahrheit. Die Wahrheit, das sind nicht irgendwelche Richtigkeiten oder Fakten, sondern Gott ist die Wahrheit. Er allein kann unserm Leben einen Sinn und einen Halt geben. Er allein weiß, woher das Wort "Heimat" kommt, und ob Jesus verheiratet war, und wenn ja, mit wem. Er hat im Himmel eine Datenbank, in der alles gespeichert ist.

Ich würde doch zu gerne in dieser Datei stöbern. Wenn ich daheim bin, im Himmel, ist das sicher möglich. Wahrscheinlich aber ist dann alles nicht mehr so wichtig. Wenn ich Gott "von Angesicht zu Angesicht schaue", werden mir alle Fragen egal sein. "Wenn ich nur dich habe, frage ich nicht nach Himmel und Erde." (Psalm 73,25)

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner