…in der Wüste des global agierenden Kapitals…

Diese Worte stammen nicht etwa von einer Kundgebung zum ersten Mai, sondern aus einer Predigt im Vorfeld der diesjährigen Mitgliederversammlung von Oikocredit. Und hat der Pfarrer nicht recht? Wird nicht unsere Welt zusehends zur Wüste? Wir wissen alle, dass die gefährlichen Klimaveränderungen der letzten und vor allem der kommenden Jahre durch uns selbst verursacht wurden und werden. Wir sind in Deutschland zwar fortschrittlich im Hinblick auf Umweltschutz und Umweltstandards, aber auch wir könnten sparsamer und mehr erneuerbare Energie einsetzen. Ganz zu schweigen von zahlreichen anderen Ländern, in denen Umweltschutz keine Rolle spielt, weil er angeblich die internationale Wettbewerbsfähigkeit schwächt.

Aber mindestens ebenso schlimm wie die Versteppung unserer Umwelt ist die zwischenmenschliche Verwüstung: Müssen nicht zusehends alte und kranke Menschen dahinvegetieren (gefüttert und trockengelegt), weil das einfühlsame Hinhören und die menschliche Ansprache angeblich zu teuer werden? Wachsen nicht Kinder in Krippen auf, weil beiden Elternteile arbeiten gehen müssen, um leben zu können? Werden nicht laufend Arbeitskräfte "freigesetzt", um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, auch wenn die Firmengewinne bereits hoch sind? Legen nicht viele von uns ihr Geld da an, wo es hohe Zinsen bzw. Dividenden einbringt, egal auf welche Art die erwirtschaftet werden? Kaufen wir nicht dort ein, wo es am billisten ist, und wollen gar nicht wissen, unter welchen unmenschlichen Bedingungen diese Waren produziert wurden und evtl. auch verkauft werden? Wüste des Kapitals!

Das Volk Israel war 40 Jahre durch die Wüste gewandert, als es endlich an der Grenze zum gelobten Land stand. Bevor es über den Jordan zog, legte Gott ihm durch Mose noch einmal die beiden Wege vor: Den Segensweg und den Weg des Fluches (nachzulesen im 5. Buch Mose, vor allem Kapitel 1, 1-5 und Kapitel 28, 1+2+15, sowie Kapitel 30, 1-6). Damals in der Wüste sollte dem Volk klar werden: Du musst dich jetzt entscheiden und davon wird abhängen, wie sich dein künftiges Zusammenleben entwickeln wird. Auch wir müssen jetzt die richtigen Weichenstellungen vornehmen, sonst werden wir nicht in das "gelobte Land" kommen, sondern den Weg des Fluchs gehen. (Wobei ich glaube, dass wir das "gelobte Land" höchstens als Vorgeschmack auf dieser unserer Erde, in Vollendung aber erst in Gottes ewiger Welt erreichen werden.) Wenn wir einen Segensweg gehen wollen, dann müssen wir heute Strukturen aufbauen, durch die künftig nicht das Kapital, sondern der Mensch im Mittelpunkt stehen wird. Oikocredit kann hierzu beitragen.

Über Oikocredit haben wir schon oft berichtet (siehe unten). So ist sicher bekannt, das auch der CVJM Reinheim mit einer kleinen Einlage bei dieser Ökumenischen Entwicklungsgenossenschaft beteiligt ist. Oikocredit vergibt kleine und größere Kredite an Genossenschaften oder Kooperativen in Entwicklungsländern, aber auch in kapitalschwachen europäischen Ländern zu günstigen Bedingungen. Durch Fachkräfte werden zuvor Kreditnehmer und Verwendungszweck geprüft, nicht nur auf Vertrauenswürdigkeit, sondern z.B. auch auf Einhaltung von Sozial-, Umwelt- und Tierschutzstandards.

Das Geld, das Oikocredit verleiht, stammt von zahlreichen Kirchengemeinden, Vereinen oder Einzelpersonen, die Genossenschaftsanteile bei Oikocredit erworben haben, statt das als Rücklage vorgesehene Geld bei irgendeiner Bank einzuzahlen. Es handelt sich um eine ethisch saubere Geldanlage. Das Geld, das bei Oikocredit eingezahlt wurde, wird mit 1-2 % verzinst und kann jederzeit wieder abgerufen werden. Hier erfolgt also Entwicklungshilfe, Hilfe zur Selbsthilfe, nicht über Spenden, sondern über günstige Kredite.

Um die Bankgeschäfte zu vereinfachen und zu verbilligen, werden sie nicht von den einzelnen Geldgebern direkt mit der Genossenschaft (in Holland), sondern über einen Förderkreis abgewickelt. Unser ehrenamtlich betriebener Förderkreis umfasst den Bereich Hessen und die Pfalz. Er hat etwas 900 Mitglieder und die Einlagen dieses relativ kleinen Förderkreises liegen bei 5 Millionen Euro.

Wie üblich gingen auch der diesjährigen Mitgliederversammlung am 6. Mai in Hanau eine Andacht und ein Vortrag mit anschließender Diskussion voraus. Dadurch lernen die Teilnehmer, überwiegend Christen, die selbst aus unterschiedlichen Gruppierungen (katholisch, evangelisch-landeskirchlich, -freikirchlich; Pfarrer, Mönche, Banker) kommen, oft wieder andere wirtschaftspolitisch aktive Gruppen oder Institutionen kennen.

In dem Vortrag erläuterte Frau Dr. Herrmann, die neue Geschäftsführerin des DACHS, des Dachverbandes der deutschsprachigen Förderkreise ihre Tätigkeit, die neben einer Koordinierung der Konzepte und Vorstellungen der Förderkreise vor allem die Öffentlichkeitsarbeit in Broschüren, Presse und Internet beinhaltet.

In der Mitgliederversammlung wurden die positive Entwicklung von Oikocredit und auch unseres Förderkreises deutlich, die auch bereits im Rundbrief 1/06 beschrieben sind. Auf Antrag der Kassenprüfer wurde dem Vorstand Entlastung erteilt. Die Michelstädter Pfarrerin Annette Herrmann-Winter wurde zur neuen Vorsitzenden gewählt und der Kassenwart Adolf Dick in seinem Amt bestätigt. Frau Herrmann-Winter gehört auch dem Lenkungsausschuss des Saturn-Prozesses an, der die Strukturen von Oikocredit zukunftsfähig machen soll, und sie wird an der diesjährigen Oikocredit-Generalversammlung in Mexiko teilnehmen. Infomaterial kann weiterhin über unseren CVJM oder von der Ökumenischen Werkstatt in Kassel bezogen werden.

G.-A. Langenbruch

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