Monatsspruch April 2007

Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn. (Römer 14,8b)

Liebe Leserin, lieber Leser,

darf ein Christ Soldat werden, wo es doch heißt: "Du sollst nicht töten"? Oder muss er Soldat werden, um unsere freiheitlich demokratische Grundordnung zu verteidigen? Sind diejenigen, die den Wehrdienst verweigert haben, Drückeberger oder sind alle Soldaten potenzielle Mörder? Jahrzehntelang haben wir darüber diskutiert. Ich dachte schon, mit dem Ende des Kalten Kriegs sei das Thema abgeschlossen, aber kürzlich bin ich wieder in eine Diskussion verwickelt worden. Und zwar nicht von irgendjemandem, sondern von einem überzeugten Christen. Der hielt grundsätzlich alle, die verweigert haben, für Drückeberger.

Ich kenne viele, die haben aus christlicher Überzeugung den Wehrdienst verweigert. Ich kenne auch einige, die haben ihn aus christlicher Überzeugung geleistet. Ich habe mich mit beiden Seiten lange unterhalten und kann keinem vorwerfen, dass er seinen Glauben nicht ernst nehme. Jeder wusste genau was er tat und warum er es tat, und war sich bewusst, dass er einmal Rechenschaft über sein Tun und Lassen ablegen muss.

Kann es denn sein, dass wir aus dem Glauben heraus zu solchen gegensätzlichen Entscheidungen kommen?

Schon Paulus musste sich mit diesem Thema beschäftigen, und zwar gleich zweimal, in 1 Korinther 8-11 und hier in Römer 14. Anlass war die Frage: "Darf ein Christ Fleisch von heidnischen Opfern essen?" Außerhalb des heiligen Landes gab es kaum Fleisch zu kaufen, das nicht aus heidnischen Tempeln stammte. Das hat die Christen damals stark beschäftigt. Unser Problem ist es nicht mehr. Aber Paulus entwickelt darüber Gedanken, die auch für uns noch interessant sind.

Hier zum Beispiel: Wenn wir Christus als unseren Herrn und Meister anerkennen, dann sind wir allein ihm verantwortlich. Keiner hat das Recht, den anderen zu kritisieren oder ihm Vorschriften machen zu wollen. Keiner von uns Christen lebt oder stirbt auf eigene Rechnung. Sondern wenn wir für unsere Lebensführung Entscheidungen treffen, so geschieht das in Verantwortung vor unserm Herrn. Und wenn wir aus Glaubensgründen unser Leben riskieren, so geschieht das ebenfalls in Verantwortung vor unserm Herrn. Darum: "Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn."

Ich höre schon den Einwand: Gibt es denn überhaupt keine verbindliche Lebensordnung mehr, kann denn jeder machen, was er will? Genau das behauptet der Apostel im ganzen Römerbrief: Wir haben die Freiheit, unser Leben selbstverantwortlich zu gestalten und sind niemand Gehorsam oder Rechenschaft schuldig außer allein unserm Herrn Christus. Das kann dazu führen, dass wir zu gegensätzlichen Verhaltensweisen kommen. Die eine isst Fleisch, die andere keins. Der eine ist Soldat geworden, der andere hat verweigert. Der eine lebt seine Homosexualität, der andere nicht.

Wir können und sollen über diese Fragen weiter im Gespräch bleiben und gemeinsam einen Weg für uns selbst finden. Wir können sogar hart darüber diskutieren – aber Vorschriften machen und kritisieren dürfen wir nicht. Jeder ist allein seinem Herrn Rechenschaft schuldig.

Ich bin ganz froh über dieses Machtwort, das Paulus da geschrieben hat.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner