Monatsspruch August 2007

Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobet der Name des Herrn! (Psalm 113,3 = Evangelisches Gesangbuch 456)

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich war einmal zum Jubiläum eines Gesangvereins eingeladen. Chorbeiträge und Festreden waren da zu hören. Und die Kommentare meines Nebenmanns, der unentwegt seiner Begleiterin musikwissenschaftliche Vorträge hielt: "ein romantisches Lied von Silcher, g-Dur, ¾-Takt". Vor lauter Duren, Molls und Stilrichtungen konnte ich mich gar nicht auf die Darbietungen konzentrieren.

So etwa fühle ich mich, wenn es darum geht, über diesen Psalmvers eine Andacht zu schreiben. Kann man eine Aufforderung zum Gotteslob auslegen? Wäre es nicht sinnvoller, in das Lob mit einzustimmen, etwa diesen Kanon im Gesangbuch oder ein anderes Lied? Wir haben uns daheim angewöhnt, vor dem Frühstück ein Lied zu singen. Wäre das nicht auch was für euch?

In der alten Kirche gab es den schönen Brauch der immerwährenden Anbetung: Gott rund um die Uhr loben. Ein Einzelner kann das nicht allein, auch eine Gemeinde ist damit überfordert. Aber auch sie tut das nicht allein. Irgendwo auf dem Globus erklingt jetzt zu diesem Zeitpunkt ein Gotteslob. Wo man feste Gebetszeiten pflegt, kann man sich drauf verlassen: In dem Augenblick, wo wir zu singen aufhören, fängt eine andere Gruppe an. Das Gotteslob wandert um die Erde.
Damit wird auch das Wirklichkeit, was der Psalm ausdrückt: "vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang", von Ost bis West, rund um den Globus, und von Morgen bis Abend, rund um die Uhr.

Beim Singen höre ich mich selbst. Da spüre ich, wie nicht nur die Luft, die ich ausstoße, durch Schallwellen vibriert, sondern wie es auch in mir zu vibrieren anfängt. Da wird das, was das Lied in Wort und Melodie aussagt, in meinem Körper lebendig. Da werde ich selber Musik, Harmonie, Wohlklang.

Als Jugendlicher ist es mir wiederholt so gegangen: Wenn ich traurig war, fing ich an, ein Lied vor mich hin zu summen, Vers 1 nach der Melodie "Wer weiß, wie nahe mir mein Ende", Vers 2 "Ich weiß, woran ich glaube", Vers drei "In dir ist Freude" oder so ähnlich, aber improvisiert und nicht nach Noten. Innerhalb weniger Minuten war meine Stimmung wie umgeschlagen, ein Wechsel von Moll nach Dur.

Im Mittelalter kam die Vorstellung auf, dass die Engel im Himmel musizieren und die Seligen auf den Wolken sitzen und Halleluja singen, eine ganze Ewigkeit lang. Muss das langweilig sein, Äonen lang immer nur dasselbe Wort zu singen, oder? Ich glaube, dass sich hinter diesen Vorstellungen eine tiefe Weisheit verbirgt: Der Himmel ist voller Musik und Gottes Wesen ist Harmonie. Wenn wir singen und musizieren, pflegen wir nicht einfach eine Kunstrichtung, sondern wir stimmen ein in die himmlische Musik, wir versuchen auf der Erde laut werden zu lassen, in unserem Körper spürbar werden zu lassen, was begnadete Komponisten mit ihrem inneren Ohr von den himmlischen Melodien gehört haben.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner