Monatsspruch Mai 2009

Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben. (Apostelgeschichte 4,20)

Liebe Leserin, lieber Leser,

in der Schule habe ich das oft genug erlebt: Eine Schülerin schwätzt unentwegt mit ihrer Nachbarin. "Melanie, hör auf zu schwätzen. Du passt ja gar nicht auf. Was habe ich eben gesagt?" Normalerweise war die Schwätzerin auf einmal sprachlos. Sie hatte tatsächlich nicht zugehört. Aber Melanie überraschte mich, als sie meine letzten paar Sätze wiederholte. Sie beherrschte die Kunst, ihre Aufmerksamkeit zu teilen.

Waren auch die Apostel Plappermäuler, weil sie das Reden nicht lassen konnten? Wir erinnern uns: Sie hatten schon zu Lebzeiten Jesu den Auftrag bekommen, zu zweit in entfernten Dörfern vom Reich Gottes zu predigen. Jesus hatte seine Schüler, die Jünger, zu dieser Tätigkeit ausgebildet und ihren Missionsauftrag nach Ostern erneuert. Sie waren keine Plappermäuler, sondern Apostel, auf Deutsch: Gesandte, Botschafter, Missionare. Nach Ostern hat sich der Inhalt der Botschaft geändert: Sie kündigten nicht mehr das kommende Reich Gottes an, sondern dass Jesus jetzt zur Rechten Gottes sitzt und Regierungschef im Reich Gottes ist. Das war den führenden Leuten in Jerusalem gar nicht recht, deshalb zitierten sie Petrus und Johannes vor ihr Parlament, den Hohen Rat, und wollten ihnen das Wort verbieten. Sie aber antworten unerschrocken: "Wir können's ja nicht lassen…"

Das war vor 1976 Jahren. Was geht uns das heute an? Na klar, wir müssen auch heute unsern Mund aufmachen und unsern Glauben bezeugen. Dabei kann es uns genauso gehen wie den beiden Aposteln, dass man uns das Wort verbieten will. Ich hatte einmal im Georgenhäuser Gemeindebrief Werbung für Kriegsdienstverweigerung gemacht. Ich wurde zwar nicht zu meinem Chef, dem Propst, bestellt, aber er rief mich an, da habe sich ein Gemeindeglied beschwert. Ich solle also künftig vorsichtiger sein mit dem, was ich schreibe. Ich war aber auch später nicht "vorsichtiger" und habe mir noch öfter den Mund verbrannt.

Da habt ihr's also, einen Freibrief munter drauf los zu reden und zu schreiben. So ist es nun auch wieder nicht. Denn nicht jeder hat das Zeug zum Apostel. Dauerredner und Dummschwätzer sind dafür nicht geeignet. Es reden zu viele, die nichts zu sagen wissen. Es wird zu viel gepredigt, was zwar theologisch unanfechtbar ist, aber so wahr, dass es beinahe schon wieder falsch ist und die Zuhörer nicht anspricht. Es machen in Diskussionsrunden zu viele den Mund auf, nur weil sie zu Wort kommen wollen. Zu sagen wissen sie nichts. Ich habe zu viele Gebete gehört und gelesen, die gar keine Gebete waren, sondern leeres Stroh, in mehr oder weniger kunstvolle Worte gefasst.

Nehmen wir uns ein Beispiel an Jesus, der hat nicht nur geredet, sondern auch geschwiegen. Beispiel: Johannes 8 im Prozess gegen die Ehebrecherin. Da hat er zunächst lange gar nichts gesagt, aber als er dann den Mund aufmachte, hatte ein einziger Satz eine gewaltige Wirkung. Als Jesus dann selbst vor Gericht stand, hat er sich nicht wortreich verteidigt, sondern hauptsächlich geschwiegen. Was hätte er gegen diese unsinnigen Vorwürfe sagen sollen?

Von Jesus können wir lernen, dass es besser ist zu schweigen als dummes Zeug zu labern.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner