Liebe Leserin, lieber Leser,
sind wir Christen leichtgläubige Phantasten? So kommt es mir vor, wenn ich lese, wie manche Wissenschaftler Glauben erklären wollen: Er hat seinen Sitz in bestimmten Hirnregionen, man kann ihn orten, wenn man einen frommen Menschen in einen Apparat steckt und ihn beten oder meditieren lässt. Weitergehende Untersuchungen wollen festgestellt haben, dass in diesen Hirnwindungen auch Wahnvorstellungen und epileptische Anfälle zu Hause sind. Womit erwiesen ist, was man schon immer geahnt hat: "Religion ist eine Art Wahnvorstellung. Man muss ja wohl verrückt sein, wenn man Geister sieht und Stimmen hört. Und sehr ungebildet und naiv, wenn man für bare Münze nimmt, was Geisteskranke erzählen."
Ist das richtig gedacht? Die Messungen haben die Fragen beantwortet, die man gestellt hat: Was geht im Gehirn eines meditierenden Buddhisten oder einer Nonne, vor, die den Rosenkranz betet? Um sich konzentrieren zu können, müssen sie einen großen Teil der Wirklichkeit ausblenden. Dasselbe geschieht wohl auch, wenn ich einen Brief schreibe oder Zeitung lese. Dasselbe macht ein Hund, der eine Spur verfolgt. Er achtet nur auf diesen Geruch und lässt sich nicht ablenken durch Katzen oder Nachrichten, die andere Hunde an den Bäumen hinterlassen haben. Das ist doch nicht Religion, sondern Konzentration. Dann sind alle Wissenschaftler religiös oder Phantasten, denn auch sie müssen sich auf ihre Arbeit konzentrieren.
Glaube ist etwas ganz Anderes. Aber was? Dafür gibt es mehrere Antworten:
Manche Menschen sehen Gespenster oder hören Stimmen. Andere haben zukunftsweisende Visionen. Wie Barak Obama, der den US-Amerikanern einredete "Yes, we can" und das unglaubliche Kunststück fertig brachte, eine Krankenversicherung für alle einzuführen. Was wohl in so einem Gehirn vorgehen mag? Aus welchen Hirnregionen wohl Zuversicht, Inspiration, Sendungsbewusstsein, Überzeugungskraft und eiserner Wille entspringen?
Christlicher Glaube ist nicht eine Form von Wahnsinn, sondern hat etwas mit dieser Fähigkeit zu tun, einen Weg in die Zukunft zu finden.
Mit freundlichen Grüßen
Heinrich Tischner