Monatsspruch Juni 2010

Gott spricht: Suchet mich, so werdet ihr leben. (Amos 5,4)

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist eine böse Zeit, in der wir leben. Ein kleiner Vulkan hält sich nicht an das Rauchverbot und legt eine Woche lang den europäischen Flugverkehr lahm. Deutschland ist auf einmal in einen Kriegseinsatz verwickelt, den wir eigentlich vermeiden wollten. Ein Mitgliedsland der EU konnte mit Geld nicht umgehen und wir müssen dafür blechen. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland wird mit Alkohol am Steuer erwischt und tritt freiwillig zurück. Ein katholischer Bischof hat vor Jahrzehnten Schulkindern ein paar "Watschen" gegeben oder Schlimmeres und Gelder eines Waisenhauses für Luxuswaren verplempert, leugnet erst und wird zum Rücktritt genötigt. Von dem, was da alles im Privatleben abgeht, will ich mal gar nichts sagen. "Die Menschen sind schlecht. Jeder denkt nur an sich."

Ist das was Neues? Was Amos über die damaligen Verhältnisse schreibt, klingt auch nicht besser. Er prangert nicht nur die schlimmen Verhältnisse an, sondern sagt auch die Zukunft voraus: Die Israeliten werden in ein fremdes Land verschleppt werden.

"Macht keine Wallfahrt nach Rom, denn Rom wird untergehen. Pilgert nicht nach Jerusalem, denn dort ist der Teufel los. Geht auch nicht auf dem Jakobsweg, denn der wird sich als Holzweg erweisen" – so könnten wir die Namen der damaligen Wallfahrtsorte willkürlich durch moderne ersetzen. Das sind heute die beliebtesten Ziele. Als evangelischer Christ halte ja ich nichts von Wallfahrten, auch nichts von Fastenaktionen. und dem modernen Getue mit den Engeln. Obwohl auch ich meinem Schutzengel viel zu verdanken habe, obwohl auch ich schon mehrfach gefastet habe und an Wallfahrtssorten gekniet.

Amos macht uns im Monatsspruch darauf aufmerksam, worauf es ankommt: Gott spricht: "Suchet mich, so werdet ihr leben." Ich suche nicht nach meinem Schutzengel, sondern nach Gott. Ich habe gefastet, weil mir's danach war und um abzunehmen, nicht weil ich den religiösen Kick suchte. Und ich bin nach Jerusalem gefahren, nicht weil ich dort Gott näher sein wollte, sondern um diese Stadt kennenzulernen. Aber auf dem Golgathafelsen in der Grabeskirche hat's mich halt überwältigt.

Eigentlich brauche ich Gott ja nicht zu suchen. Ich weiß wo er ist.

Der zum Katholizismus übergetretene Johannes Scheffler war ein verbohrter Fanatiker und hat nach dem 30-jährigen Krieg den Evangelischen das Leben sehr schwer gemacht. Aber er hat tiefsinnige geistliche Verse geschrieben, die ich sehr liebe. Einer lautet: "Halt an, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir. Suchst du ihn anderswo, du (ver)fehlst ihn für und für." Der Himmel, das heißt Gott, ist in mir. Ich weiß, wo er ist. Und trotzdem muss ich ihn mein Leben lang suchen.

Natürlich kann ein Pilger in Wittenberg, Dieburg, Santiago de Compostela in Spanien, Jerusalem, Mekka oder Benares in Indien Gott finden. Wenn er Gott in seinem Herzen hat, wird er ihn sogar in der Hölle bei sich haben.

Er kann Gott aber in sich haben und ihm trotzdem davonlaufen wollen, wie es Jona versucht hat. So geht es auch heute noch manchen Menschen und so kann es auch heute noch jedem von uns gehen. Gott meldet sich ungesucht und ungefragt bei uns: "Jona, geh nach Ninive, blas denen den Marsch und lies ihnen die Leviten." Oder: "Andrea, geh nach Afrika und arbeite in der Mission" oder "Holger, geh in den Betrieb deines Vaters und werde ein tüchtiger Handwerker." Wenn Jona stattdessen mit dem Schiff nach Spanien fährt, wenn Andrea aus Westhofen Medizin studiert und sich in Worms niederlässt und wenn Holger nach Brasilien zur Indianermission geht, dann laufen sie Gott davon.

Gott suchen und finden, das bedeutet zu allererst: erkennen, wozu ich auf der Welt bin, welchen Weg Gott für mich vorgesehen hat. Dafür gibt es keine allgemeingültige Antwort. Für Jona war es falsch, nach Spanien zu wollen. Für Gesine kann es falsch sein nicht nach Spanien zu gehen.

Natürlich erwartet Gott von uns allen, dass wir uns an die Spielregeln halten. Micha 6,8 hat das so formuliert: "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott."

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner