Monatsspruch November 2010

Gott spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht. Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. (Jesaja 2,4)

Schwerter zu PflugscharenLiebe Leserin, lieber Leser,

ein schöner Traum vom Weltfrieden, den uns der Prophet Jesaja da vor Augen führt! Das Problem ist nur: Dieser Traum ist seither immer noch nicht wahr geworden. Ein Geschichtsforscher hat ausgerechnet, dass in den letzten 2.000 Jahren noch nicht einmal ein einziges Jahr Frieden gewesen ist auf der Welt. Irgendwo hat immer jemand das Schwert erhoben, den Bogen gespannt und das Gewehr angelegt. Ich vermute, dass seitdem Tag für Tag Sicheln zu Spießen gemacht und neben Autos auch Panzer hergestellt wurden.

Jesaja träumt aber nicht nur vom Frieden, sondern hat sehr genauer Vorstellungen, wie Friede verwirklicht werden kann: Die Abrüstung, von der wir in dem bekannten Spruch oben lesen, ist nicht der Anfang des Friedens, sondern nur ein weiterer Schritt dorthin.

Vorher lesen wir, wie es zur Abrüstung kommt:
"… zur letzten Zeit … werden alle Nationen herzulaufen und viele Völker hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Pfaden! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen."

Der Frieden braucht also eine von allen Völkern anerkannte Rechtsordnung. Jesaja denkt dabei an das Gottesrecht, das in Jerusalem gepflegt wird, und hofft, dass es internationale Gültigkeit bekommt. Jerusalem wird dann zwar nicht Welthauptstadt werden, aber Sitz der wichtigsten juristischen Universität und des Obersten Gerichtshofs, der im Namen Gottes alle internationalen Streitigkeiten schlichtet und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ahndet. Erst dann ist Friede möglich, Abrüstung sinnvoll und militärische und strategische Ausbildung überflüssig.

Also kein märchenhafter Traum, sondern sehr konkrete Vorstellungen, wie ein dauerhafter Weltfriede Wirklichkeit werden kann!

Was ist daraus geworden? Das Gottesrecht ist offensichtlich verkommen – christlicherseits zu einer unverbindlichen Moral – jüdischerseits zu einem unbequemen Zeremonialgesetz. Aber es hat ganz andere Auswirkungen gehabt, als sich Jesaja träumen ließ: Die Menschenrechte, die auch in unserem Grundgesetz verankert sind, sind zwar nicht wörtlich aus der Bibel abgeschrieben, aber sie sind von Menschen formuliert, die in ihrem Denken von der Bibel geprägt wurden. Die Grundsätze der Gleichheit, der Menschenwürde, der sozialen Gerechtigkeit sind auf biblischem Boden gewachsen.

Was fehlt uns dann noch für den Weltfrieden? Ich glaube, wir sind näher dran, als wir denken: Es gibt ja bereits internationale Institutionen, die in der Vergangenheit wohl schon viele Konflikte friedlich geregelt haben. Es gibt ja schon ein Völkerrecht, das eigentlich Kriege unnötig machen müsste. Es gibt ja schon internationale Gerichte, die auch Verstöße gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ahnden können. Was uns fehlt, sind Machtmittel um die Einhaltung des Völkerrechts zu erzwingen.

Vor über 500 Jahren hat der damalige Kaiser Maximilian den "allgemeinen Landfrieden" verkündet und damit Privatkriege der Fürsten und Ritter untereinander bei Strafe verboten. Es hat lange gedauert, bis sich der Landfriede in Deutschland wirklich durchgesetzt hat. Noch vor 144 Jahren haben Deutsche auf Deutsche geschossen. Aber die Idee des Kaisers ist langfristig dennoch Wirklichkeit geworden. Und wir hoffen, dass es dabei bleibt.

Und so, wie schließlich doch der Friede in unserem Land gesiegt hat, so muss auch eines Tages der Friede in der Welt siegen. Dazu brauchen wir Menschen, die fähig sind, ein brauchbares Konzept zu entwickeln und politisch zu verwirklichen. Denn der Friede darf nicht nur vom guten Willen und vom labilen Gleichgewicht der Kräfte abhängen. Sondern er braucht eine solide organisatorische Grundlage. Davon konnte Jesaja nur träumen. Ich hoffe, dass ihr den Tag noch erleben dürft, an dem dieser Traum in Erfüllung geht.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner