Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. (Matthäus 5,3)

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Geschichte des Christentum ist eine einzige langatmige Erklärung, warum wir das Vermächtnis unsres Herrn Jesus nicht beachten. Wir haben Jesus in dem Himmel gehoben, zum Halbgott gemacht, ihm einen Premium-Heiligenschein verliehen. Im Himmel ist er gut aufgehoben und wir haben auf Erden freie Hand, pflegen unsre Traditionen und verteidigen den christliche Plätzchen-Verzehr im Dezember gegen den gewerbsmäßigen Plätzchen-Großhandel im Spätsommer. Wir - ich eingeschlossen - legen einzelne Sprüche und Abschnitte der Bibel aus, verteilen biblische Streicheleinheiten, Kraftpakete und eiserne Rationen und verlieren uns in tausend Einzelheiten.

Ich möchte daher in diesem Jahr die Andacht anders gestalten, Jesus auf die Erde zurückholen und mich auf das Eigentliche konzentrieren, auf seine Worte.

Jesus beginnt seine programmatische Rede, die Bergpredigt, mit den Seligpreisungen und mit dem Lob der geistlichen Armut. Ein Blick ins Lukasevangelium zeigt, was Jesus wirklich gesagt hat: "Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer. - Aber dagegen: Weh euch Reichen! Denn ihr habt euren Trost schon gehabt." (Lukas 6,20.24). Im Reich Gottes wird alles auf den Kopf gestellt, da profitieren diejenigen, die nichts zu verlieren haben, die Reichen aber können nur verlieren. Aber nicht wie beim "armen Lazarus", der in Abrahams Schoß ruht, während der herzlose Reiche in der Hölle schmort. Sondern wie bei den Jüngern, die um Christi willen auf ihren Besitz verzichteten. Oder wie der heilige Martin, der nicht nur seinen Mantel mit einem Bettler teilte, sondern auch als Bischof demonstrativ einfach lebte und dickköpfig darauf bestand, nicht in einem Bett, sondern auf dem Fußboden zu schlafen. Oder wie die heilige Elisabeth, die nach dem Tod ihres Mannes ihr Luxusleben auf der Wartburg aufgab und sich in der Krankenpflege aufopferte. "Geistliche Armut" ist die freiwillige Armut derer, die vom Geist Gottes erfüllt sind.

Ich bewundere diese Menschen. Aber ich selbst kann das nicht. Ich habe meine Verpflichtungen und möchte mich nicht von anderen abhängig machen. Und habe auch meinen Stolz, dass ich meine Email-Adresse und meine Website selbst bezahle und sie nicht in den Dienst der Werbung stelle. "Geistliche Armut" kann auch heißen, dass ich nicht alles haben muss, was ich mir leisten könnte. Ich muss nicht dauernd neue Kleider kaufen. Ich habe heute ein Poloshirt an, das ich vor 14 Jahren von meinem Vater geerbt habe. Meine Konfirmationsuhr für 12,50 DM hat 25 Jahre gehalten, die Nachfolgerin ist 31 Jahre alt - wozu brauche ich weitere Uhren? "Geistliche Armut" kann auch einfaches Leben und Verzicht auf Überfluss sein. Und vor allem auch, dass wir mit anderen teilen. Die jungen Leute haben erkannt, dass man gar nicht immer ein eigenes Auto haben muss und nutzen die Möglichkeit zum Carsharing. Ich war mal so dumm, dass ich meinte, alle Werkzeuge selbst haben zu müssen, bis ich mal eine Motorsäge brauchte, die mir der Nachbar gern lieh.

Und schließlich: "Geistliche Armut" kann auch bedeuten, dass wir einen Teil unsres Geldes für gute Zwecke spenden. Aber nur an vertrauenswürdige Organisationen wie CVJM oder Kirche.

Herr Jesus, komm vom Himmel auf die Erde zurück, in unser Leben, in unsre Welt, und fang mit uns neu an das Reich Gottes Wirklichkeit werden zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner