"Die Nacht leuchtet wie der Tag"

Die 9. Nacht der offenen Kirche in Ueberau

Logo Nacht der offenen KircheAuch in diesem Jahr wurde die Reihe der Freitagabend-Andachten in Ueberau mit der Nacht der offenen Kirche am Freitag vor Palmsonntag (11.04.2014) abgeschlossen. Das "Leuchten" kam schon im Motiv der Plakate und Einladungszettels zum Ausdruck durch das gelbe Licht, das aus der Kirchentüre nach außen scheint. Veranstalter waren wiederum die ev. Kirchengemeinde und der CVJM Reinheim. Im Unterschied zu früheren Jahren arbeiteten diesmal allerdings weniger CVJM-Angehörige mit, da zahlreiche Ehemalige jetzt in der Ausbildung stehen bzw. studieren und somit aus räumlichen oder zeitlichen Gründen absagten.

StockbrotZur Eröffnung um 17:30 Uhr wurden im hinteren Teil der Kirche Speisen und Getränke angeboten, die gestiftet waren. Dort gab es auch eine Fotoschau von Jungschar, Teenkreis und den Freizeiten zu sehen und es lag viel Informationsmaterial aus z.B. über die Freizeiten und andere Veranstaltungen des CVJM Reinheim sowie über die Kommunität von Taizé, einem kleinen französischen Dorf unweit von Cluny, nördlich von Lyon. Prädikant Alexander Haas, der 2003 die erste Nacht der offenen Kirche in Ueberau anregte, hatte außerdem Material zur Christenverfolgung in vielen Ländern der Erde zusammengestellt. Vor der Kirche konnte an einem zünftigen Lagerfeuer - wie auf CVJM-Freizeiten - Stockbrot gebacken und mit Zugaben verzehrt werden.

Eine Stunde später lasen dann vor schätzungsweise 25 Zuhörern sieben Ueberauer "Tag- und Nachtgeschichten". Die Moderation lag bei Pfarrerin Obermann, die auch bei den Vorbereitungen dieser Nacht sehr aktiv war. Die Beteiligten hatten sehr unterschiedliche Texte ausgewählt. Zwei wurden wohl speziell für diesen Abend geschrieben, denn sie betrafen genau das Thema dieser Nacht: "Die Nacht leuchtet wie der Tag". Dabei wurde in dem einen Text sehr deutlich gefragt: "Was ist, wenn der Tag nach langer Nacht nicht mehr kommen will?" Kennen wir das auch, dass die Nacht in uns nicht weichen will? Gut, wenn wir darüber reden können.

Einzelne "Geschichten" waren für mich wegen der ungewöhnlichen Denkweise der Autoren nicht einfach zu verstehen. Am besten kann ich mich an den „Retro Selbstversuch“ erinnern: Ein Mädchen will drei Tage lang so leben, wie seine Mutter in ihrem Alter gelebt hat. Es muss dazu also auf Handy, Laptop, Facebook usw. verzichten und daraus ergeben sich ganz schnell kleine und große Komplikationen, die nüchtern, aber doch humorvoll beschrieben wurden. Es war z.B. damals erforderlich, Absprachen nach Ort und Zeit genau zu treffen und pünktlich einzuhalten. Kurzfristige Veränderungen - wie heute bei jungen Leuten per Handy üblich - ließen damals einen Termin platzen.

In einer Geschichte wurde in einfacher, bildhafter Sprache unsere "Seele" als Speicher unserer Erfahrungen und Quelle unserer Gefühle dargestellt: "Tief, tief in uns wohnt die Seele. Noch niemand hat sie gesehen, aber jeder weiß, dass es sie gibt." Wir sollten öfter auf unsere innere Stimme hören.

Ueberauer lesen Tag- und Nacht-GeschichtenDen Abschluss machte ein Text von Hanns Dieter Hüsch mit dem schönen Titel "Gott nimmt uns in seine Arme". Darin heißt es: "Gott nimmt uns in seinen Arm, wenn wir müde sind und führt uns durch Finsternis und falsche Nacht, wenn wir die Augen schließen. Er kennt das Ziel, denn er ist das Ziel. … Lasst uns mit allen eins sein, um unseretwillen, um seinetwillen, um Gottes willen."

Zwischen den Lesungen spielten an drei Stellen Frau Buggle und Frau Veith eine sehr schöne, anspruchsvolle Zwischenmusik für Blockflöten mit Stücken von Bodin de Boismortier, Chedeville und Hook.

JugendposaunenchorUm 20:00 Uhr folgte wieder ein schönes Konzert des Jugendposaunenchors unter Leitung von Herrn Borger, der zwischen den abwechslungsreichen, teils lebhaften Stücken auch wieder viele junge Spieler in locker erzählender Form vorstellte. Zu diesem Konzert, das schon zu einem festen Bestandteil der Nacht der offenen Kirche geworden ist, kamen wohl die meisten Besucher in dieser Nacht, und es gab einen sehr kräftigen Beifall.

Nach einer Pause begann im vorderen Teil der Kirche die Taizé-Andacht, die ebenfalls regelmäßig zu der Nacht der offenen Kirche in Ueberau gehört, seit der CVJM-Teenkreis mehrfach in Taizé war. Diesmal wurde die Andacht von Frau Reiß geleitet: Viele Kerzen auf dem Boden neben und vor dem Altar breiteten andächtige Stille aus. Die Teilnehmer saßen in einem großen Halbkreis längs der Seitenwände und in der Kirchenmitte. Lieder, Bibeltexte, Gebete und Stille sind die wesentlichen Teile einer Taizé-Andacht. Die Liedverse werden vielfach wiederholt. Sie prägen sich schnell ein und werden leicht verinnerlicht. Auf der ersten Seite des verteilten Programms waren zwei Kernsätze von Frére Roger, dem Gründer und langjährigen Leiter von Taizé abgedruckt:

"Das Gebet ist eine ungebrochene Macht, die im Menschen wirkt; sie lässt es nicht zu, dass er die Augen vor dem Bösen verschließt."

"Wer Christus nachfolgt, bleibt gleichzeitig Gott und den Menschen nahe, er trennt nicht zwischen Gebet und mitmenschlicher Solidarität."

Nacht der offenen Kirche 2014Diese Sätze waren einem längeren Text auf der letzten Seite des Programms über das geheime Verlangen im Menschen nach innerem Leben entnommen: Die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott wird inniger durch ein ruhiges gemeinsames Gebet, vor allem in lang anhaltenden Gesängen, die in der Stille des Herzens weiterklingen. Dieses Weiterklingen war sofort erfahrbar, da etliche der gesungenen Lieder (begleitet von der Organistin, Frau Schmidt) von früheren Andachten her bekannt waren, wie "Sende dein Licht und deine Wahrheit" oder "Laudate omnes gentes" (Lobet all ihr Völker), "Von allen Seiten umgibst du mich, o Herr", "Meine Hoffnung und meine Freude".

Als Bibelverse wurden gelesen Psalm 139 und Johannes 4,3-14 jeweils in Auswahl. Wie in Taizé üblich, wurden manche Texte auch in verschiedenen Sprachen vorgetragen. Dadurch wird die Einheit der Christen trotz aller Verschiedenheit nach Volkszugehörigkeit, Konfession usw. besonders betont. (Noch vor 70 Jahren tobte bei uns in Westeuropa ein schrecklicher Krieg zwischen überwiegend christlichen Völkern - und auch heute noch ist für viele Christen die Volks- oder Stammeszugehörigkeit wichtiger als das Christsein z.B. im Südsudan.) Mit der Bitte um Frieden in dieser unruhigen Welt begann auch das Fürbittengebet, in dem nach jeder Bitte gemeinsam das Kyrie eleison (Herr erbarme dich) gesungen wurde.

NachtmahlUm 23.00 Uhr saßen wir dann an einer langen Tischreihe zum Nachtmahl zusammen, einer leckeren Rote Bete-Suppe mit Brot und Zubehör, die wieder der CVJM-Kassenwart Florian Tischner gezaubert hatte.

Gegen Mitternacht begann unter der Überschrift "Das Ende der Nacht" die Märchenzeit für Erwachsene mit Gerrit Langenbruch. Die erste Erzählung handelte von einem jüdischen Rabbi, der seine Schüler fragt, wann eigentlich die Nacht zu Ende ist? Nach einigen unbefriedigenden Antworten sagt er dann: "Wenn Du im Gesicht Deines Nächsten Deinen Bruder / Deine Schwester erkennen kannst." Das anschließende Märchen berichtete von einem König, der bestimmte, dass derjenige seiner beiden Söhne sein Nachfolger werden sollte, der den Thronsaal für wenig Geld am besten füllen konnte. Womit war freigestellt. Der erste Sohn ließ ihn mit ausgepressten Zuckerrohr füllen. Der zweite Sohn stellte nur eine Kerze in die Mitte und füllte so den ganzen Saal mit Licht. Der König entschied, der erste Sohn habe den Saal mit nutzlosem Zeug gefüllt, der zweite aber mit dem, was die Menschen brauchen. Er solle der Thronfolger sein.

MärchenAuch das letzte Märchen handelte von einem König. Er war in seinem Volk sehr beliebt, aber als ein Feind das Land erobern wollte, trat er freiwillig zurück und lebte fortan als Eremit. Der neue König war ein strenger Herrscher, aber er erfuhr, dass sein Vorgänger einen viel innigeren Kontakt zum Volk gehabt hatte. Das wollte er auch erreichen, und er bat den Einsiedler, ihm zu helfen, in die Herzen seiner Untertanen blicken und ihre Wünsche erfüllen zu können. So wurde auch er zu einem weisen und beliebten König, zu einem Wohltäter seines Volkes, und Friede kehrte in sein Herz ein.

Um 01:00 Uhr wurde die Nacht der offenen Kirche mit den Nach(t)gedanken von Clemens Tischner, dem Vorsitzenden unseres CVJM, beschlossen: "Die Nacht leuchtet wie der Tag" - wie das Flutlicht den Fußballplatz erleuchtet oder wie ein Krieg oder Feuer den Himmel erleuchtet? Wie ist der 139. Psalm zu interpretieren, aus dem das Motto der Nacht der offenen Kirche stammt? Erinnert Gott an die NSA? Überwacht er uns oder passt er auf uns auf? Am Karfreitag ist Jesus gestorben und da wurde der Tag finster wie die Nacht. Aber er starb für unsere Sünden, dadurch wurde für uns die Nacht zum hellen Tag, denn die Trennung von Gott wurde überwunden. Im Johannes-Evangelium (Kapitel 12) sagt Jesus: "Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt."

Gustav Langenbruch, Clemens Tischner