Liebe Leserin, lieber Leser,
eine überspitzte Auslegung der Zehn Gebote macht gerade die Frömmsten
zu verkappten Atheisten: 1b) "Du darfst dir kein Bild von Gott machen",
2) "Du darfst den Namen Gottes nicht missbrauchen". Das bedeutet
heutzutage für viele: Du darfst dir Gott nicht vorstellen und du sagst
am besten gar nicht mehr "Gott", dann kannst du auch nichts falsch
machen. Das zweite hat schon Jesus beherzigt, wenn er z.B. vom
"Himmelreich" statt vom "Reich Gottes" sprach. Er sprach ja von Gott,
gebrauchte aber ein Ersatzwort. Wenn wir aber nicht mehr von Gott reden
und auch nicht über ihn nachdenken, verschwindet er aus unsern Köpfen
und Herzen und spielt in unserm Leben keine Rolle mehr.
Wir dürfen, nein wir müssen von Gott reden und über ihn nachdenken.
Also, wer oder was ist Gott? Die Bibel gibt uns zwei Antworten und
Luther die dritte:
- "Gott ist Geist" (Johannes 4,24), Idee, Gedanke,
Vorstellung. Heißt das, dass es Gott gar nicht gibt? Es gibt auch
keine Gerechtigkeit und keinen Frieden. Die Nachrichten beweisen das
täglich. Auch Gerechtigkeit und Frieden sind nur Ideen, Ideale,
Wunschvorstellungen. Aber wenn wir aufhören an Frieden und
Gerechtigkeit zu glauben, wird die Welt noch schlimmer. Es gab bis
vor kurzem auch keine Hochhäuser, bis jemand auf die Idee kam welche
zu bauen. Wenn die Städteplaner nicht mehr an den Nutzen von
Hochhäusern glauben, wird es bald keine mehr geben. So ist es auch
mit Gott. Er ist eine Idee von außerhalb unsrer Wirklichkeit, die in
unsrer Welt immer wieder neu Gestalt annehmen will. Wir sehen ja,
was der aggressive Atheismus angerichtet hat: Er leugnet nicht nur
Gott, sondern lehnt auch die traditionellen Werte ab: Wahrheit? Die
Wissenschaft hat festgestellt, dass wir pausenlos lügen. Auf andere
Rücksicht nehmen? "Jeder ist sich selbst der Nächste." Ohne Gott
gilt nur noch, was man sehen kann. Und was man sieht, ist
erbärmlich.
- "Gott ist Liebe" (1. Johannes 4,16) - aber nicht so,
wie man sich's landläufig vorstellt, dass er immer lieb zu uns ist
oder sogar lieb sein muss. Gotte Liebe besteht nicht aus
Liebesbeweisen, sowenig wie die Sonne aus Strahlen besteht. Von der
Sonne haben wir unsre Lebensenergie, Sonnenanbeter wie Stubenhocker,
und sogar, wenn es dunkel ist. "Gottes Liebe ist wie die Sonne",
aber sie überschüttet uns nicht, sondern sie wartet darauf, dass wir
sie abrufen, unser Herz für sie öffnen, uns von ihr erfüllen lassen
- und sie überfließen lassen, dass auch andere etwas davon
verspüren. Gottes Liebe besteht auch nicht bloß darin, dass er sich
ein einziges Mal herabgelassen hat, "seinen eingeborenen Sohn in die
Welt" zu senden. Aber spätestens seit Jesus wissen wir, dass Gott
Liebe ist. Deshalb ist die Liebe für mich der höchste und der
einzige Wert. Ich bin nichts und die Liebe ist alles.
- "Worauf du nun […] dein Herz hängst und verlässest, das ist
eigentlich dein Gott", schreibt Luther im
Großen Katechismus. Gott
ist das, woran ich glaube. Da wird uns klar, was mit den falschen
Göttern gemeint ist: nicht Baal oder Mammon, auch nicht Allah oder
Buddha, sondern alles, was sich mit Liebe nicht vereinbaren lässt.
Kann man Gott beweisen? Vielleicht dadurch, dass wir Liebe
überzeugend leben. Und von Gott reden und uns nicht einschüchtern
lassen. Glauben ist nichts für Denkfaule! Darum fallt nicht auf die
Tricks des Teufels herein, dass wir das Wort "Gott" nicht benutzen
dürfen und uns kein inneres "Bild", keine Vorstellung von ihm machen
dürfen. Ohne eine Vorstellung zu haben, was gemeint ist, kann ich nicht
glauben, was jemand sagt.
Mit freundlichen Grüßen
Heinrich Tischner