Grundbegriffe des Glaubens: Die letzten Dinge

"Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell hinein, dass uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine, selge Ewigkeit." (Marie Schmalenbach)

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich schreibe diese Andacht im "Goldenen Oktober", ab und zu noch Sonnenschein, ein letztes Aufbäumen des sterbenden Sommers. Ihr werdet sie lesen im trüben November, lange Nächte und kurze Tage, tagelang wolkenverhangener Himmel, vielleicht sogar Nebel, und trübselig sind auch unsre Gedanken in dieser Zeit. Das Kirchenjahr macht sie nicht fröhlicher: Gleich zu Beginn des Monats: Allerheiligen, Allerseelen, die katholischen Gedenktage an Menschen, die jetzt im Himmel sind, und an alle, die wir verloren haben. Und am Ende des Monats: Volkstrauertag zur mahnenden Erinnerung an die Gräuel der deutschen Vergangenheit, Buß- und Bettag (brauchen wir nicht mehr, oder doch?) und der evangelische Toten- und Ewigkeitssonntag. Ein Monat, künstlich vollgestopft mit trübseligen Gedanken. Muss das sein? Warum uns die Lebensfreude verderben?

Ja, es muss sein, die Erinnerung an unsre Lieben auf dem Friedhof, an unsre Unvollkommenheit und daran, dass alles vergänglich ist und auch wir sterben müssen.

Der Gedanke daran kann uns lähmen und den Spaß verderben. Wozu müssen wir leben und lieben, wenn wir doch sterben müssen? Wozu uns Mühe geben, wenn's am Ende doch alles vergeblich, vielleicht sogar falsch war? Wozu etwas schaffen, wenn doch alles vergeht?

Das Ende bedenken hat ja auch sein Gutes. Da schuftet einer den ganzen Tag, hebt Erde aus, schleppt Steine und setzt sie aufeinander und ist abends schlagkaputt. Warum tut er das? Ist er blöd? Nein, er bedenkt das Ende, er will ein Haus bauen, in dem er wohnen kann. Er freut sich jetzt schon und malt sich aus, wie das sein wird, wenn er einziehen kann. Er hat ein Ziel, und das ist nicht schuften bis zum Umfallen, sondern bauen und dann wohnen. Er beschneidet sich dann aber in seiner Freiheit. Er musste vorher sparen und konnte sich nicht alles leisten - weil er bauen wollte. Auch jetzt muss er sich einschränken und seine Zeit einteilen. Aber dann, wenn's gebaut ist… fangen die Reparaturen an, müssen die Schulden abgezahlt werden, erweist sich das Haus als zu klein oder zu groß, die Firma versetzt ihn weit weg, die Freude war nur von kurzer Dauer. Es erfüllen sich viele unsrer Hoffnungen nicht oder sind bald wieder zunichte.

So ist das Leben, alles ist vergänglich und auf nichts ist Verlass. Nichts ist ewig, außer Gott. Deshalb ist es gut, wenn wir nicht nur an unsre selbstgesteckten Ziele denken, sondern einen Orientierungspunkt haben außerhalb unsrer selbst, außerhalb der Welt. Da wird uns klar:

  1. Wir sind unterwegs zu Gott. Von daher brauchen wir uns nicht von Feierabend zu Urlaub, von Glanzlich zu Highlight und von Event zu Party zu hangeln, um nicht in der Mühle des Alltags aufgerieben zu werden. Denn "ein Tag, der sagt's dem andern, mein Leben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit." (Gerhard Terstegen).
  2. Das Ziel, die Ewigkeit Gottes, ist wie ein Leuchtturm am Ufer, das die Schiffer in der Nacht vor Sandbänken und Untiefen warnt und ihnen den Weg in den Hafen zeigt. "Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell hinein…"
  3. Wenn wir unser Leben aus der Sicht Gottes verstehen, von oben und von außerhalb, sieht manches anders aus: "…dass uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine". Die Perspektive verzerrt ja unsre Wahrnehmung: Das Naheliegende sieht groß aus, die rote Ampel, die uns am Weiterfahren hindert, und der Wolkenkratzer in der Ferne winzig.
  4. Letztlich kommt es drauf an, was Gott von uns hält - nicht, was wir uns auf uns selbst einbilden oder was die Leute über uns denken. Er allein kann sich ein Urteil bilden, wie gut oder schlecht jeder von uns ist, ob unser Leben gelungen oder gescheitert ist. Und er allein in seiner zeitlosen Ewigkeit sieht unser Leben als Einheit und weiß, wohin jeder Einzelne von uns gehört im Weltgefüge und in seinem Plan. Da hat alles seinen Platz, wie in einem Puzzel, auch wenn wir noch nicht erkennen können, was daraus werden soll.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner