Monatsspruch September 2016

Gott spricht: Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte. (Jeremia 31,3)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Güte ist in der Bibel ein anderes Wort für Liebe und beschreibt genauer, was Liebe ist: Verbundenheit, Solidarität. Liebende Menschen stehen für einander ein und kneifen nicht, wenn's brenzlig wird. Ganz anders als die heutige Devise: "Wer gehen will, der soll gehen." Wenn einer nicht mehr will, braucht man sich nicht mehr um ihn bemühen und gibt ihn auf. Zum Beispiel in der Ehe. Die "Liebe" ist erloschen, also so schnell wie möglich auseinander. Die biblische Güte gibt nicht auf, sondern "klammert" und bemüht sich, legt einander an die Leine. Zu weit gehen, ausbrechen geht nicht, das gibt einen unangenehmen Ruck am Halsband. Das gilt für beide. Und je länger man zusammen ist, desto mehr braucht man einander.

Und wo bleibt die Freiheit? Dummes Geschwätz! Ich war nie frei. Ich zog aus dem Elternhaus und ließ mir gleich andere Fesseln anlegen: Die Fesseln der Ausbildung, die Fesseln des Berufs, die Fesseln der Liebe. Und war mein Leben lang an Vorschriften gebunden.

So versteht die Bibel auch Gott: Er sitzt nicht mild lächelnd im Himmel und bringt seine Ewigkeit zu mit Ausstellen von Freibriefen und Scheidungsdokumenten und mit der Segenserteilung zu jedem und zu allem. Nein, er hat sich im Alten Testament an Israel gebunden, einen regelrechten "Bund", Vertrag mit ihm geschlossen, wie einen Ehevertrag: "Du sollst meine Frau sein und ich will dein Mann sein" = "Ihr soll mein Volk sein und ich will euer Gott sein." Unauflöslich aneinander gekettet, mit gegenseitigen Verpflichtungen. Jesus hat diesen Bund nicht auf alle Menschen übertragen, aber er hat den engen Rahmen eines einzigen Volkes erweitert, sodass jeder, der will, zum Volk Gottes gehören darf.

Das Alte Testament schafft von vornherein klare Verhältnisse. Wer den Vertrag nicht anerkennt und auf die Erbschaft und den Segen Gottes verzichtet, wird nicht bestraft, aber muss die Konsequenzen tragen. Wer im Winter die Heizung nicht anmacht, ist selbst schuld, wenn er friert. Das ist der "Bund" zwischen der Heizung und uns: Wir müssen die Kosten bezahlen oder Brennstoff kaufen und die Heizung bedienen. Und die Heizung muss uns warm machen. Sie wird uns schon nicht im Stich lassen, wenn wir unsre Verpflichtungen erfüllen.

Soviel zur "Güte", der Verbundenheit. Was aber hat es auf sich mit dem "zu mir gezogen"? Lesen wir, was Gott sonst noch sagt und Jeremia predigt und aufschreibt: Israel und Gott lebten getrennt, weil "Frau Israel" andere Götter interessanter fand. Raus aus dem stickigen Haus mit seinen strengen Vorschriften, das Leben ist bunt und vielfältig. Man kann sich doch nicht von allem ausschließen.

Und Gott? Sagt nicht: "Wer gehen will, soll gehen", sondern bemüht sich trotzdem und versucht die Treulose wieder "zu sich zu ziehen". Hosea 4,11 schreibt deutlicher über die Frühzeit Israels: "Ich ließ sie ein menschliches Joch ziehen und in Seilen der Liebe gehen und half ihnen das Joch auf ihrem Nacken tragen und gab ihnen Nahrung". Gott will also mit dem Lasso die entlaufene Kuh wieder einfangen und vor den Wagen spannen. Sonst fängt sie ein anderer ein, spannt sie vor den Pflug, gebraucht die Peitsche und schlachtet sie schließlich. So war es zweimal geschehen unter den Assyrern und Babyloniern.

Und Gott kündigt an: "Wenn du zurückkommst zu mir, schließe ich einen neuen Bund, und der soll anders sein als der alte", keine aufgezwungene Ordnung mit strengen Strafen, sondern eine, die man aus Liebe gern befolgt. (Jeremia 31,31-34) So verstehen die heutigen Juden ihre Thora und so verstehe ich die Bergpredigt. Der "Neue Bund", den Jesus geschlossen hat, bezieht uns in dieses Gottesverhältnis ein. Jesus hat uns nicht losgebunden von den "Seilen der Liebe", sondern uns genauso "gefesselt", an Gott und an sich. Darum singe ich heute noch gern, nach sechzig langen Jahren mit Jesus: "Bei dir Jesu will ich bleiben… Könnt ich's irgend besser haben als bei dir… (Evangelisches Gesangbuch 406)

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner