Monatsspruch September 2017

Und siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein, und sind Erste, die werden die Letzten sein. (Lukas 13,30)

Liebe Leserin, lieber Leser,

wie geht das, dass die Letzten auf einmal die Ersten sind? Weil sie bisher ihre Kräfte geschont haben und die an der Spitze beim Endspurt überholen? Nein, Jesus denkt anders: Wenn ein Zug in einen Sackbahnhof einfährt, ist die Lok vorne. Wenn er wieder rausfährt, ist der hinterste Waggon vorne und die Lok hinten. Die Evangelisten fassen die Botschaft Jesu zusammen mit den Worten: "Tut Buße, denn das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen." Gemeint ist nicht "bereut eure Sünden", sondern griechisch "denkt um", orientiert euch neu, hebräisch "kehrt um", ihr seid auf dem falschen Weg.

Genauso rätselhaft wirkt Jesu Wort: "Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen." (Matthäus 18,1) Eigentlich ganz einfach: die Großen gehen vorn, die Kleinen hinten. Wenn sie umkehren, sind die Kleinen vorn. Es steckt aber noch mehr dahinter, das zeigt Jesu Wort an Nikodemus: "Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen." (Johannes 3,3) Wer von neuem geboren, wiedergeboren wird, ein neues Leben anfängt, ist "wie die neugeborenen Kindlein" (1. Petru s2,2).

Ich las von einem Fachmann, der hatte es verstanden, sich erst bei den Nazis unentbehrlich zu machen und dann in der jungen Bundesrepublik. Direkt schuldig gemacht hatte er sich nicht, nur eine verbrecherische Regierung unterstützt. Hinterher machte man auch dem kleinsten Parteimitglied den Prozess. Er aber kam ungeschoren davon, war vor 1945 bei den "Ersten" und danach auch wieder. Es ist jetzt leicht über ihn zu schimpfen - wir stecken nicht in seiner Haut und haben kein Recht, uns ein Urteil anzumaßen.

Hat Jesus eine Sorte Menschen übersehen, die "Wendehälse", die "ihr Mäntelchen nach dem Wind hängen"? Wenn wir den Monatsspruch im Zusammenhang lesen, erkennen wir, dass Jesus vor einer falschen Sicherheit warnt. Er beantwortet eine Frage, welche die Jünger und ersten Christen stark bewegt hat: "Wer wird beim Jüngsten Gericht freigesprochen, viele oder wenige?" Oder, wie ich mir selbst schon überlegt habe: Ich stehe am Ende einer langen Schlange vor dem Himmelstor, die Eintrittskarte griffbereit, und plötzlich geht das Tor zu und der Engel an der Pforte sagt: "Tut mir leid, der Himmel ist voll, da passt keiner mehr rein." Und wozu hab ich mich da mein ganzes Leben abgestrampelt um Gott zu dienen? Womit hab ich das verdient, dass man mir die Tür vor der Nase zuschlägt? "Wer zu spät kommt, den bestraft" nicht nur "das Leben." Ich kann die Frage der Jünger nachempfinden.

Denen ging's aber wohl um was Anderes: Sie dachten: "Als Männer und Frauen der ersten Stunde haben wir gute Chance, wenn Jesus wiederkommt um die Welt zu richten." Und tatsächlich sitzen sie nach mittelalterlicher Auffassung jetzt im Himmel direkt neben Jesus auf Ehrenplätzen. Und manch einer wird gehofft haben: "Nur wir mit Jesus im kleinen Kreis, das wird gemütlich. Aber bloß kein Massenzulauf von Milliarden! Fünftausend sind doch wohl die Obergrenze!" Und Jesus gibt ihnen scheinbar Recht: "Manche werden vor verschlossener Tür stehen. Aber seid euch nicht zu sicher, dass ihr nicht auch draußen bleiben müsst. Denn beim Gericht werden die Karten neu gemischt.

Himmel und Hölle, ist das noch zeitgemäß? Hat nicht neulich ein Pfarrer lautstark die Hölle abgeschafft? "Schafft hier das Leben gut und schön. Kein Jenseits ist, kein Auferstehn" sagt der moderne, aufgeklärte Mensch. Haben sie Recht? Als ob es keine Hölle auf Erden gäbe! Frag mal die Flüchtlinge, was sie erlebt haben. Meine größte Sorge ist nicht, dass ich in der Hölle gegrillt oder gekocht werde, sondern dass ich in letzter Minute doch noch das Ziel meines Lebens verfehlen könnte. Und umgekehrt: Zu fragen "Was hab ich von all meinen Bemühungen meinem Herrn zu dienen?" hab ich nicht nötig. Denn er hat sich bisher nicht lumpen lassen.

Oder sagen wir mal so: Wenn Gott die Liebe ist, kann ich mich jetzt schon von seiner Liebe erfüllen lassen, brauche mich selbst nicht so wichtig zu nehmen (gar nicht so einfach!) und kann erfahren, was das Sprichwort sagt: "Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu andrer Glück, denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigne Herz zurück." Und wenn der Himmel dann doch voll zu werden droht? Dann lass ich denen hinter mir den Vortritt, setz mich auf eine Bank und freue mich, dass Gott immer noch bei mir ist.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner