Monatsspruch Juni 2019

Freundliche Reden sind Honigseim, süß für die Seele und heilsam für die Glieder. (Sprüche 16,24)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Honig ist natürlicher Zucker, gesammelt von den Bienen. Honigseim ist flüssiger Honig, ein veraltetes Wort, das aber hier gut passt: Bei stockenden, gestotterten Worten eines gehemmten, ängstlichen Menschen kommt die Freundlichkeit nicht so recht rüber. Und umgekehrt ist bei allzu "flüssigen", glatten Worten Vorsicht geboten. Diese Süßholzraspler sind nicht ehrlich; sie schmeicheln und machen Komplimente, weil sie den Gesprächspartner gefügig machen und um den Finger wickeln wollen. Schnellsprecher reden "fließend", weil sie schneller denken als sie sprechen können; ihre Zunge kommt kaum den Gedanken hinterher. Und die Zuhörer kommen auch nicht mit.

Vorletztes Jahr im Mai sagte der Monatsspruch das Gegenteil: "Eure Rede sei allezeit freundlich", aber nicht "wie Honigseim", sondern "mit Salz gewürzt". (Kolosser 4,6) Zu viel Süßes schadet den Zähnen und macht dick und zu viel Salz erhöht den Blutdruck und schadet dem Herzen. Wir brauchen zur Ernährung aber beides, Kohlehydrate und Mineralstoffe, Zucker und Salz. "Freundliche Rede" ist "süß", nicht bitter oder sauer, sondern angenehm zu hören, und etwas "salzig", mit Hack und Geschmack, aber nicht versalzen und gepfeffert. Auf die richtige Dosierung kommt's an.

Um das Bild weiterzuführen: Zu den lebensnotwendigen Kohlehydraten gehört auch die Stärke, von der die Bibel noch nichts wusste. Johann Heermann brachte das 1630 in einem Vers zum Ausdruck: "Hilf, dass ich rede stets, womit ich kann bestehen; lass kein unnützlich Wort aus meinem Munde gehen; und wenn in meinem Amt ich reden soll und muss, so gib den Worten Kraft und Nachdruck ohn Verdruss." (EG 495,3) also sparsam dosierte Worte (nichts Unnützes), voll Kraft und Stärke, und freundlich, ohne Verdruss.

Eine Menge Bilder um den kurzen Monatsspruch. Aber wie wirkt sich das in unserm Leben aus?

Ich meinte mal einen Mitarbeiter zurechtweisen zu müssen, nicht voller Ärger, sondern ganz sachlich: "Das ist doch gegen unsre Prinzipien." Aber als ich fertig war, hatte ich den Eindruck, ich hätte mich tatsächlich geärgert. Man kann sich beim Reden leicht in etwas hineinsteigern, was man gar nicht beabsichtigt hatte. Mir hat es sehr geholfen, dass ich mir klar machte, dass es nicht gegen ihn persönlich ging, sondern nur um eine Äußerung, die mir nicht gefiel. Gerade da wäre aber weniger mehr gewesen, nur eine Prise Salz, ich hatte aber zu viel genommen.

Ich hatte mich dabei vielleicht im Ton vergriffen und war zu scharf und nicht mehr wie ein Freund. Unfreundlich kann es auch sein, wenn wir zu lange auf den anderen einreden und ihn damit in die Enge treiben, so dass er sich wehren muss. Ein kurzer Vorstoß genügt meist. Wenn wir merken, dass der andere betroffen ist, nicht weiter schimpfen, sondern sofort den Rückzieher machen ist wirksamer als eine lange Schimpfkanonade. Er hat dann die Möglichkeit sich zu verteidigen oder zu entschuldigen und damit ist die Sache wieder gut.

Unser Lateinlehrer hatte einen Spruch, der hat mir imponiert: "… wenn ihr aber faul seid und nichts lernt, kriegt ihr in aller Freundschaft eine Sechs." Das tat also seinem grundsätzlichen Wohlwollen keinen Abbruch. Es ist manchmal nötig, jemand "in aller Freundschaft" die Meinung zu sagen, nicht um ihn zur Schnecke zu machen, sondern um Unstimmigkeiten zu klären oder ihn davor zu bewahren, denselben Fehler zu wiederholen. Man sagt "Gewitter reinigen die Luft" und ich habe es mehrfach erlebt, dass eine Auseinandersetzung eine Freundschaft nicht zerstört, sondern gefestigt oder sogar erst begründet hat.

All das gehört zur Freundlichkeit. Viel mehr aber, und das ist das wichtigste: nicht nur sagen, was uns stört, sondern vor allem, was uns gefällt, also nicht nur mit Salz, sondern mit Honig würzen. Gewöhnt euch an, euch zu bedanken und zu loben. Danken schärft unsre Gedanken, dass wir nicht alles als selbstverständlich hinnehmen, sondern erkennen und anerkennen, dass es jemand gut mit uns meint, der Mitmensch, aber auch Gott. "Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat." (Psalm 103,2).

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner