Monatsspruch Juli 2019

Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn. (Jakobus 1,19)

Liebe Leserin, lieber Leser,

was hat denn der Jakobus da für merkwürdige Vorstellungen: "langsam zum Reden"? Was soll das? Es kommt doch auf die schnelle Reaktion an und Schlagfertigkeit! Das haben wir doch schon in der Schule gelernt: Wer auf eine Frage nicht antwortete, war eine Schlafmütze, und wer begann mit "ähm … also…", wusste es nicht. Die richtige Antwort hatte wie aus der Pistole geschossen zu kommen, schnell und genau und nicht lang drum herumgeredet.

Aber nicht immer zählt das Tempo: "Wie heißt die Hauptstadt von …" - "Brüssel", das wäre zu schnell. "Lass mich doch erst mal ausreden!" So läuft das aber oft im Leben, nicht nur in der Schule. Da meinen wir schon oft zu wissen, was jetzt kommt, und überlegen uns eine Antwort, bevor der andere ausgeredet hat. Ein Diskussionsteilnehmer sagte mal: "Ich habe zwar einen Augenblick nicht zugehört, möchte aber trotzdem was dazu sagen." Und schon müssen wir Jakobus rechtgeben: "schnell zum Hören, langsam zum Reden".

Ein Mann klagte dem Freund sein Leid: "Meine Frau redet und redet, den lieben langen Tag." Der Freund fragte teilnahmsvoll: "Ja was redet sie denn?" - "Das ist ja das Problem: Das sagt sie mir nicht." Liegt das nur an der Babbel-ewig, die nicht die Klappe halten kann? Oder auch am Mann, der nicht zuhört?

Als Schwerhöriger kann ich ein Lied davon singen, wie mühsam es ist zuzuhören. Das kann man nicht nebenbei, sondern erfordert volle Konzentration. Auch bei Menschen mit gesunden Ohren. Nicht dass es so geht, wie jener Ärztin, die in eine Gesprächsrunde kam und sich sofort zu Wort meldete: "Ja, es ist ganz wichtig, dass man die Werte immer wieder kontrolliert und darüber Buch führt." - "Entschuldigung, Frau Doktor, wovon reden Sie?" - "Sie sprachen doch über Blutwerte." - "Nein, von dem Waldbrand neulich, von dem immer noch Glutherde zurückgeblieben sind." Da hört man ein Stichwort und meint zu verstehen, Bescheid zu wissen und mitreden zu können.

Aufmerksam zuhören kann man trainieren. Ein alter Mann erzählte mir vor 50 Jahren, dass er als Bub nach dem Gottesdienst daheim abgefragt wurde, was der Pfarrer gepredigt hatte. Und da reichte es nicht, wenn er sagte: "Er sprach über die Sünde." - "Ja was hat er denn dazu gesagt?" - "Er war dagegen." Das kann man sich ja denken, auch wenn man gar nicht in der Kirche war. Ein gutes Aufmerksamkeitstraining ist auch, wenn man nicht nur einen Film reinzieht oder ein Buch verschlingt, sondern mit anderen darüber spricht oder ihnen davon erzählt. Aber wen interessiert das schon?

Während meiner praktischen Ausbildung nahm mich mal ein Dozent beiseite und ermahnte mich, ich solle mich am Gespräch beteiligen, und ich antwortete: "Ich höre zu und denke drüber nach, und da habe ich genug zu tun und kann nicht noch überlegen, was ich sagen könnte." Ich hab den Eindruck, dass viele nur noch auf bestimmte Stichwörter warten und sich dann über Reizwörter aufregen. Du kannst die Menschen aus dem tropischen Afrika in den höchsten Tönen loben, aber du brauchst nur ein Mal "Neger" zu sagen, dann fallen sie über dich her und deine vermeintlich menschenverachtende Gesinnung.

Damit sowas nicht passiert, ist es sicher nicht verkehrt, den Monatsspruch auswendig zu lernen und sich dran zu halten: Höre erst aufmerksam zu und denke drüber nach, bevor du meinst was sagen zu müssen, dann brauchst du dich nicht vom Zorn hinreißen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner