Monatsspruch November 2019

Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt. (Hiob 19,25)

Liebe Leserin, lieber Leser,

ein Mensch ist am Boden zerstört: Hab und Gut weg, bei einem Unglück alle Kinder umgekommen, selber aussätzig. Er sitzt in der Asche und kratzt sich mit einer Scherbe. Alles verloren? Nein, seine Frau hält zu ihm und seine Freunde sehen nach ihm. Das ist schon mal viel wert.

Wie vielen Menschen geht's heute genauso und noch schlimmer? Auch vom Partner verlassen, der sogar noch unverschämte Unterhaltsansprüche stellt. Die Freunde ziehen sich zurück, vielleicht aus Angst vor Ansteckung oder weil sie mit diesem Häufchen Elend nicht umzugehen wissen. Der erzählt zum tausendsten Mal seine Lebensgeschichte, die hängt uns doch schon längst zu Hals raus. Und überhaupt ist er wunderlich geworden, vielleicht dement. Man kann mit ihm kein vernünftiges Wort reden.

Wie oft haben wir ihm zugeredet, er solle seine Herden versichern, die Festhalle auf ihre Standfestigkeit überprüfen lassen und zur Vorsorgeuntersuchung gehen! "Ach was, da wird schon nichts passieren!" Und jetzt hat er den Salat. Selber dran schuld!

Der Verfasser des Buchs Hiob erzählt kurz diese tragische Geschichte aus alter Zeit und verwendet sie als Beispiel, an dem er wie bei einem Theaterstück die Darsteller diskutieren lässt über den Sinn des Leidens: einer verkleidet als Hiob, die anderen als Freunde, ein harter Schlagabtausch ohne Rücksicht darauf, dass der echte Hiob ja eigentlich totsterbenskrank und hundeelend ist.

Warum muss Hiob dies alles leiden? Das Publikum weiß es schon: Der Satan stellt bei Gott Hiobs Frömmigkeit in Frage: "Der hält doch nur zu dir, weil du alles für ihn tust. Aber nimm ihm alles ab, da wird er von dir nichts mehr wissen wollen. Wollen wir wetten?" - "Topp!"

Hiob und seine Gesprächspartner wissen aber davon nichts. Und es geht jetzt viele Seiten lang um die damalige Patenterklärung: Leid ist schlechtes Karma, Folge von Fehlverhalten. Die Freunde, die doch eigentlich gekommen sind um Hiob zu trösten, spielen jetzt Polizei: "Denk doch mal scharf nach, irgendwas musst du doch verbrochen haben, wenn dich Gott so hart straft!" und löchern ihn noch und noch. Ähnlich lieblos wurde meine Mutter gefragt: "Hast du schon mal drüber nachgedacht, was dir Gott mit dieser Krankheit sagen will?"

Aber Hiob, so setzt der Erzähler voraus, ist wirklich völlig unschuldig und fühlt sich so in die Enge getrieben, dass er wie in einem modernen Krimi seinen Anwalt sprechen will. So kann man seine Worte verstehen: "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt." Auch wenn Hiob vielleicht bald sterben muss, dann lebt immer noch der Erlöser, eigentlich jemand, der einen Verwandten aus der Schuldenfalle freikauft. Gott hat das letzte Wort und weiß, dass ich unschuldig bin.

Und nach weiteren Wortgefechten kommt Gott selbst zu Wort. Er greift zunächst scharf Hiob selbst an, nicht weil er sich doch was hat zuschulden kommen lassen, sondern weil er tut, als habe er die Weisheit mit Löffeln gefressen: "Du hast ja überhaupt keine Ahnung von meiner Macht und Weisheit und bist nur ein Staubkorn im Universum." Hiob gibt zu, dass er den Mund zu weit aufgemacht hatte. Und dann erfolgt der Urteilsspruch: Die Freunde haben Hiob ungerecht verdächtigt und müssen dafür Buße zahlen. Hiob ist unschuldig und bekommt alles Verlorene ersetzt.

Beim Erlöser denken wir Christen an Jesus. Er hat uns "erlöst vom ewigen Tod und der Gewalt des Teufels", haben wir gelernt. Für mich ist Jesus mein Herr und Freund, der auch im tiefsten Elend zu mir hält und mich auch dann nicht allein lässt, wenn der Sensenmann vor der Tür steht. "Das kann jeder behaupten und glauben wie er will!" Nein, echt: Er hat das doch alles selbst durchgemacht: aus seinem Heimatort rausgeschmissen, in seinem Wohnort abgelehnt, von seinen Freunden verleugnet, verraten und verlassen, unschuldig verurteilt und zu Tode geschunden. Schlimmer kann's gar nicht kommen. Er kennt auch den schaurigen Weg durch den Tod durch, weil er selbst gestorben ist, und weiß, wie's danach weitergeht. "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt", in mir und uns allen, die wir an ihn glauben. Ich bin, du bist auch auf dem letzten Gang nicht allein.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner