Monatsspruch November 2020

Gott spricht: Sie werden weinend kommen, aber ich will sie trösten und leiten. (Jeremia 31,9)

Liebe Leserin, lieber Leser,

der November ist ein trüber Monat und verführt nicht nur persönlich zu trübseligen Gedanken, sondern ist auch offiziell mit trübseligen Themen befrachtet: 1. November: Gedenktag "Aller Heiligen", der vorbildlichen Katholiken, die nach menschlichem Dafürhalten jetzt im Himmel sind. 2. November: Gedenktag "Aller" anderen katholischen "Seelen", denen wir auch den Himmel gönnen. Vorletzter Sonntag des Kirchenjahrs, d.h. vor dem 1. Advent: staatlicher "Volkstrauertag", ursprünglich den eigenen Kriegstoten gewidmet, später auch allen Opfern rechtsextremer Gewalt, die unendliches Leid mit Millionen Todesopfern gebracht hatte. Und schließlich am letzten Sonntag des Kirchenjahrs der evangelische "Totensonntag", oder wie einige lieber sagen: "Ewigkeitssonntag", klingt frommer - und erspart uns daran zu denken, dass wir sterben müssen.

Die Monatssprüche sind der fortlaufenden Ökumenischen Bibellese entnommen. Dieses Jahr beschäftigen wir uns vom 5. Oktober bis 14 .November mit Texten aus dem Buch Jeremia, danach mit den Klageliedern Jeremias. Der aktuelle Monatsspruch vom Weinen und Trösten passt gut in den trübseligen November. Gemeint sind die Rückkehrer aus der Babylonischen Gefangenschaft, von denen man eigentlich annehmen sollte, dass sie sich freuen und jubeln. Jeremia spricht aber zu denen, die am jüdischen "Volkstrauertag" weinen, wenn sie an die Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr. denken.

Im selben Zusammenhang schreibt Jesaja 66,13 noch schöner: "Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet." Es ist lange her, dass Darmstadt zerstört wurde, da war ich noch klein. Genauso lange ist es her, dass ich weinte und Mama mich trösten musste. Wie hat's deine Mama gemacht? Ein Gutsel oder den Schnuller in den Mund gestopft, damit du aufhörst zu schreien? Meine hat mir mal erst den Popo versohlt, und mich, als ich weinte, in den Arm genommen und gesagt: "Eigentlich möchte ich mit dir greinen. Meinst du, es täte mir Spaß machen, dich zu hauen? Ich will doch, dass du ein anständiger Mensch wirst." Hat gewirkt. Ich hab dabei nicht nur gelernt, dass ich nicht alles darf und mein Tun Folgen hat, sondern auch, dass Strafe und Liebe kein Widerspruch sind.

Trost tut auch gut, wenn wir um eins trauern, das gestorben ist. Ich hab's selber wohltuend erlebt, wie es sich anfühlt, wenn man getröstet wird: wie bei Mama, ohne Schnuller oder Gutsel, aber in den Arm genommen, an der Hand gehalten, nicht allein gelassen. Miteinander sprechen und, wenn die Worte fehlen, miteinander schweigen. Wie sagt man, wenn man jemand in Trauer trifft? "Herzliches Beileid!" Eine merkwürdige, abgegriffene Formulierung, die aber zeigt, worauf es ankommt: nicht Mitleid "Du Armes, du tust mir ja so leid!", sondern "Ich bin bei dir in deinem Leid."

Wie ist das aber, wenn Gott tröstet? Der Monatsspruch deutet es nur an: "Ich will sie trösten und leiten", d.h. die Verschleppten zurückbringen. Das neutestamentliche Wort für "trösten" bedeutet 'gut zureden', das alttestamentliche dagegen 'beruhigen', nicht mit dem Schnuller, sondern 'wiedergutmachen, entschädigen'. Ein kleines Beispiel: Isaaks Mutter war gestorben (Genesis 23,1) und Isaak geht auf Brautschau und kommt mit einer jungen Frau zurück. "Also wurde Isaak getröstet über seine Mutter." (24,67) Die junge Frau tritt an die Stelle der Mutter (auch wenn die Mutter noch lebt).

Ganz so einfach ist es aber nicht, auch nicht in der Bibel. Die Enkel der verschleppten Juden durften wieder "heim", aus ihrer neuen Heimat in ein fremdes, zerstörtes Land. Jerusalem war immer noch kaputt und der Tempel, der ihnen so heilig war, ebenfalls. Beides wurde wiederaufgebaut, aber inzwischen war die Uhr weitergelaufen: Die Juden hatten längst gelernt ohne Tempel zu glauben. An die Stelle des Opfergottesdienstes im Tempel trat der Wortgottesdienst, den man überall halten kann, in jeder Synagoge, Kirche, Moschee und sogar im Freien. Wenn Gott "tröstet", leistet er nicht einfach 1:1 Ersatz, sondern hilft uns weiter.

Auch unser Wort "Trost" führt weiter: Es ist als Missionswort von englisch trust 'Vertrauen' übernommen, gebildet zu treu und trauen wie Kunst zu können. Trost ist also nicht, dass alles wieder wird, wie's war, sondern das Vertrauen, dass Gott uns "leitet", alles zu einem guten Ende führt und auch "auf krummen Zeilen gerade schreibt."

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner