Monatsspruch Januar 2022

Am nächsten Tag stand Johannes an derselben Stelle, und zwei von seinen Jüngern waren bei ihm. Als er Jesus vorbeigehen sah, sagte er: "Seht dort das Lamm Gottes." Die beiden hörten es und gingen Jesus nach. Jesus drehte sich um, sah, dass sie ihm folgten, und fragte: "Was sucht ihr?" Sie antworteten: "Wo bleibst du, Rabbi?" "Kommt, dann werdet ihr es sehen!", antwortete er. Sie gingen mit ihm, sahen, wo er blieb, und blieben den Rest des Tages bei ihm. Jesus Christus spricht: Kommt und seht! (Johannes 1,33-39)

Liebe Leserin, lieber Leser,

zwei junge Männer werden auf Jesus aufmerksam, laufen hinter ihm her und fragen, wo er wohnt. Und Jesus sagt nicht "Kirchweg 1" oder sonst eine Adresse, sondern "Kommt und seht." Und was sahen sie? Irgendein Haus? Sollte man annehmen. Aber so einfach ist die Geschichte nicht, sondern sehr tiefsinnig. Es lohnt sich ihre Tiefen zu ergründen.

Da ist nicht vom Wohnen die Rede, sondern vom Bleiben. Jesus "wohnte" in seinen letzten Lebensjahren nicht, sondern war ständig unterwegs. Das brachte sein Beruf mit sich, vielleicht schon früher als Zimmermann auf Montage, später als Wanderprediger. Wir lesen ein paarmal, dass er irgendwo eingeladen wurde, manchmal auch nicht, da übernachtete er im Freien. Er hatte keine dauerhafte "Bleibe".

Jesus nahm die beiden also nicht mit in seine Wohnung, sondern auf seine Reise. "Sie blieben den Rest des Tages bei ihm", nicht nur bis zum Abend, sondern für den Rest ihres Lebens.

Das erinnert an die Geschichte von den Emmausjüngern (Lukas 24,13-35). Zwei Jünger gehen von Jerusalem zum Dorf Emmaus. Der auferstandene Jesus gesellt sich zu ihnen und sie unterhalten sich über die Kreuzigung und ihre enttäuschten Hoffnungen. Dann kommen sie zu ihrem Ziel und laden ihn ein "Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden." Zu Beginn seiner Wirksamkeit lädt Jesus zwei Jünger ein, nach seiner Auferstehung bitten zwei Jünger Jesus zu sich zu Gast.

Und beidemal wird nur ein Name genannt, das erste Mal Andreas, das zweite Mal Kleophas. Waren Johannes und Lukas so vergesslich? Oder wollten sie damit sagen: Der andere Jünger könntest du sein? Denn "Kommt und seht", das gilt auch für uns heute.

Johannes der Täufer hatte Jesus vorgestellt als das "Lamm Gottes". Das war damals wohl genauso unverständlich wie heute. Die beiden Jünger fragten aber nicht, wie das zu verstehen sei, und baten auch nicht Jesus das zu erklären, sondern schlossen sich ihm an und blieben bei ihm.

Es gibt viele Erklärungsversuche für Jesus, Titel wie "Messias, Heiland, Retter; Sohn Gottes" und Bilder wie "guter Hirte" und eben auch "Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt".

Aber Jesus kann man nicht erklären, so wenig man dich und mich erklären kann. Wer jemand ist, erfahren wir, wenn wir ihn kennenlernen. Ich kenne dich nicht, ich weiß nur, dass du meine Andacht liest. Du kennst mich vielleicht persönlich oder weißt nur, dass ich diese Zeilen geschrieben habe. Wer Jesus war und welche Bedeutung er hat, erfahren wir in der Bibel. Wenn du nie was von ihm gehört hast, hast du jetzt ein bisschen über ihn gelesen. Aber wirklich kennen lernen wir ihn nur in lebenslanger Erfahrung.

Ich kann dich nur herzlich einladen: "Komm und sieh", lern ihn persönlich kennen, werde sein Freund. Ich kenn ihn schon lange und kann nur sagen: Es ist schön mit ihm.

Bei dir, Jesus, will ich bleiben,
stets in deinem Dienste stehn;
nichts soll mich von dir vertreiben,
will auf deinen Wegen gehn.
Du bist meines Lebens Leben,
meiner Seele Trieb und Kraft,
wie der Weinstock seinen Reben
zuströmt Kraft und Lebenssaft.

(EG 406)

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner