Liebe Leserin, lieber Leser,
es lohnt sich, nicht nur diesen kurzen Satz, sondern ein bisschen mehr zu lesen: "Wie ein Hirsch nach frischem Wasser lechzt, so sehne ich mich nach dir, mein Gott! Ich dürste nach Gott, nach dem wahren, lebendigen Gott. Wann darf ich zu ihm kommen, wann darf ich ihn sehen? Tränen sind meine Nahrung bei Tag und Nacht, weil man mich ständig fragt: »Wo bleibt er denn, dein Gott?«" (Gute Nachricht)
Der Beter war schon lange nicht mehr in der Kirche, ähm, ich meine im Tempel, und vermisst die "schönen Gottesdienste" sehr. Er wohnte weit weg, im Norden, und bis nach Jerusalem war's etwa eine Woche zu Fuß. Es tat ihm echt leid, dass er so selten hinkam. Sein Glaube lebte vom Eingemachten, von der Erinnerung: Früher "zog ich mit der großen Schar zum Hause Gottes, da konnte ich jubeln und danken in der feiernden Menge."
Vielleicht kannst du das nach zwei Jahren Pandemie nachempfinden, wie das ist, wenn man von Zusammenkünften ausgeschlossen ist, sei's in der Kirche, im CVJM oder sonst wo. Meine Mutter hat krankheitsbedingt darunter gelitten. Ich selbst kann trotz Hörgerät seit 10 Jahren nirgendwo hin. Erst fehlt einem was - und dann gewöhnt man sich dran.
Aber der Psalmbeter lechzt nicht nach Veranstaltungen und Mega-Events, sondern nach Gott. Dass er Wallfahrt, Tempel und Gottesdienst vermisst, sind nur Äußerlichkeiten. Ihn plagt etwas ganz anderes: die Frage: "Wo ist nun dein Gott?" Die stellt er sich nicht selbst, sondern das bekommt er immer wieder von anderen zu hören. Da geht's nicht drum, dass Gott unsichtbar ist und nicht zu beweisen oder dass wir verunsichert sind, weil viele nicht mehr an ihn glauben. Sondern "Wo ist Gott in meinem Leben? Wo ist Gott in unsrer von Krisen geschüttelten Welt?"
Was uns im Moment stark beschäftigt, ist der Krieg in der Ukraine. Aber in der Welt brodelt's doch ständig. Afghanistan, Syrien, Jugoslawien, Kuwait, Vietnam… Wo ist oder war da unser Gott? Oder beim Schulmassaker in den USA. Es ist nicht das erste. Auch bei uns wurde schon in Schulen geschossen. Corona ist nicht die erste Epidemie. 1948 grassierten die Masern. Meine Schwester starb daran. Über Aids haben wir im CVJM-Vorstand ausführlich diskutiert. Um 1990 beschäftigte uns die Rassentrennung in Süd-Afrika. Wir fragten uns: "Was können wir tun?" Unsre Antwort: Beten. Genau im richtigen Moment. Kurz darauf wurde die Trennung aufgehoben.
"Wo ist Gott?" Er ist da, so wie die Feuerwehr und Rettungsdienste da sind, ohne dass wir viel davon sehen. "Da kann man nur noch beten", richtig. Es hilft wirklich.
Gott ruft dich, priesterliche Schar. / Die Welt vergeht in Nöten. / Tritt für sie ein in der Gefahr / und halte an mit Beten.
O hört den Todesschrei der Welt, / nehmt ihn auf eure Hände, / auf euer Rufen ist’s gestellt, / dass Gott den Jammer wende.
Beschämt nicht Gottes Heil und Hort, / er will sich gern erbarmen. / Nehmt ihn getrost bei seinem Wort / und ausgestreckten Armen. (Heinrich Vogel 1948)
Betet mit uns, für den Frieden, für die Ukrainer, für die Russen, für die Flüchtlinge, für die schießwütigen Amerikaner, für Freund und Feind und alle Menschen.
Amen, ja komm Herr Jesus, komm bald und bring die Welt wieder in Ordnung.
Mit freundlichen Grüßen
Heinrich Tischner