Monatsspruch Dezember 2022

Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. (Jesaja 11,6)

Liebe Leserin, lieber Leser,

von wegen "Und die Bibel hat doch recht": Leopard und Löwe sind ausschließlich Fleischfresser und können sich nicht anders ernähren. Und manche Leute haben ihre blauen Wunder erlebt, als sie versuchten ihre Stubentiger zu Vegetariern zu erziehen.

Aber der Monatsspruch steht ja nicht in einem Biobuch und handelt nicht von heute, sondern von einer märchenhaften Zukunft. Und es geht nicht um Tiere, sondern um Menschen. Die bekanntlich "tierischer als jedes Tier" sind.

Wie könnte Friede denn Wirklichkeit werden? Jetzt machen wir mal die Bibel und das Biobuch zu und schlagen das Geschichtsbuch auf: Gerade meine Generation, noch im Krieg geboren, hat das Unglaubliche erlebt: über 70 Jahre Frieden, trotz Kaltem Krieg, trotz Besatzungstruppen, trotz Einbindung in die NATO, trotz Auslandseinsätzen der Bundeswehr und trotz Angriffs auf die Ukraine.

Und warum? Erstens weil wir nach zwei furchtbaren Weltkriegen unsre Lektion endlich gelernt haben und keinen Krieg mehr wollen. Und zweitens, weil es uns gelungen ist uns mit den Nachbarstaaten zusammenzutun statt gegeneinander zu arbeiten. Und drittens, weil wir in 500 Jahren gelernt haben, dass wir privat keine Waffen brauchen, um uns zu verteidigen. Gegen Verbrecher schützt uns die Polizei und wenn wir uns mit jemand nicht friedlich einigen können, ziehen wir nicht den Colt, sondern…? Sondern ziehen vor Gericht.

Und jetzt komme ich wieder auf die Bibel zurück: Jesaja malt nicht nur ein idyllisches Bild von friedlichen Tieren, sondern er hat auch eine Idee, wie wir unsern Traum von Frieden verwirklichen können:

"Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen … und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen zum … Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege …! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen." Jesaja 2,2-4 (Luther)

Wenn wir mal so weit sind, dass wir auch internationale Streitigkeiten vor Gericht austragen können, können wir's uns leisten "aus Schwertern Pflugscharen und aus Spießen Sicheln zu machen" und aus Kanonenrohren Pipelines.

Völkerrecht und internationale Gerichtshöfe gibt's ja schon. Aber was nützt es, wenn ein Gericht einen Verbrecher in Abwesenheit verurteilt und sagt: "Du du, das darfst du nicht"? Ein Gericht macht sich lächerlich, wenn es keine Strafgewalt hat.

Jesaja hatte einen Traum. Und ich auch: Es wird einmal ein Tag kommen, an dem sich alle Völker zu einem Weltstaat zusammenschließen, zu einem Nachfolger der UNO, der die Macht hat Verstöße gegen das Völkerrecht zu ahnden, Möchtegern-Diktatoren rechtzeitig aus dem Verkehr zu ziehen und Kriegstreibern die Ehre zu erweisen, als erste Menschen auf dem Mars zu landen.

Besteht dann aber nicht die Gefahr, dass aus diesem Weltstaat eine Weltdiktatur wird? Nicht, solange die Gewaltenteilung funktioniert, mit unabhängiger Gesetzgebung, Rechtsprechung und Regierung. Ich fürchte nur, dass es noch ein paar Weltkriege geben muss, bis wir endlich Vernunft annehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner