Einführung in das Neue Testament

Teil 3

Die Synoptiker und die synoptische Frage

Die Bücher des Neuen Testamentes sind zum einen deshalb geschrieben worden, weil die Träger der mündlichen Überlieferung (die ersten Jünger Jesu und Apostel-Missionare) für die urchristlichen Gemeinden nicht überall erreichbar waren.

Zum anderen sind sie aus der Notwendigkeit heraus entstanden, weil diese Jünger und Apostel alt wurden und einer nach dem anderen starben.

Wer die Evangelien aufmerksam liest wird bald feststellen, dass den Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas viele Berichten des Wirkens und Redens Jesu Gemeinsamkeiten zu Grunde liegen. In der Theologie spricht man von einer gemeinsamen Quelle, aus der sie schöpften.

Ein alter Grundsatz der Ausleger heißt: Die Schrift legt sich durch sich selber aus. Das gilt im Besonderen also bei den ersten drei Evangelien. Man kann sie somit nur dann wirklich verstehen, wenn sie übersichtlich und nebeneinander in ständiger Zusammenschau (griechisch "synopsis") gelesen und betrachtet werden.

Die synoptische Frage ist also die Frage nach der wissenschaftlichen Erklärung des Ineinandergreifens von Übereinstimmungen und Verschiedenheiten der Evangelien, denn neben den Gemeinsamkeiten haben die Verfasser auch ganz selbstständige berlieferungen und Berichte mit verarbeitet. Man nennt diese selbstständigen Berichte und Überlieferungen "Sondergut".

Zum besseren Verständnis des oben Gesagten folgt jetzt jeweils ein typisches Beispiel von Synopse und Sondergut aus den ersten drei Evangelien.

Beispiel zur Synopse

Dabei wird deutlich erkennbar, dass Markus, Lukas und Matthäus gleiches Überlieferungsgut verarbeitet haben. Es handelt sich um die Geschichte von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus.

Im Matthäus-Evangelium lesen wir:

"Und Jesus kam in das Haus des Petrus und sah, dass dessen Schwiegermutter zu Bett lag und hatte das Fieber. Da ergriff er ihre Hand und das Fieber verließ sie. Und sie stand auf und diente ihm."
Kapitel 8, die Verse 14-15.

Bei Markus steht:

"Und alsbald gingen sie aus der Synagoge und kamen in das Haus des Simon und Andreas mit Jakobus und Johannes. Und die Schwiegermutter Simons lag darnieder und hatte das Fieber; und alsbald sagten sie ihm von ihr. Da trat er zu ihr, fasste sie bei der Hand und richtete sie auf; und das Fieber verließ sie und sie diente ihnen."
Kapitel 1, die Verse 29-31.

Lukas schreibt:

"Und er machte sich auf aus der Synagoge und kam in Simons Haus. Und Simons Schwiegermutter hatte hohes Fieber und sie baten ihn für sie. Und er trat zu ihr und gebot dem Fieber und es verließ sie. Und sogleich stand sie auf und diente ihnen."
Kapitel 4, die Verse 38-39.

Beispiele zum Sondergut

Nur im Matthäus-Evangelium finden wir den sogenannten 3. Heilandsruf:

"Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht."
Kapitel 11, die Verse 28-30.

Und nur Markus überliefert uns die Heilung eines Taubstummen:

"Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege. Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! Und sogleich taten sich seine Ohren auf und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig."
Kapitel 7, die Verse 31-35.

So finden wir auch nur bei Lukas das Gleichnis vom Reichen Kornbauern:

"Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile. Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch gesetzt? Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat. Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut! Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast? So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott."
Kapitel 12, die Verse 13-21.

Alle Bibelabschnitte wurden der Lutherbibel entnommen.

Edwin Suckut

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