Die wohl wesentlichsten Unterschiede zwischen Jesus und den
Pharisäern waren:
- Für die Pharisäer galt, dass Gottes Wille in einer
Vielzahl von Einzelgeboten ausgesprochen worden war, die sie
genauestens einzuhalten hatten.
Merkwürdig an dieser Haltung ist dann jedoch, dass sie den
Willen Gottes in gewisser Weise pervertierten. Sie erfanden
Umwege und Schliche, um die Gesetze in ihrer Schärfe doch
nicht einhalten zu müssen.
Dazu ein Bespiel:
Das Sabbat-Gebot besagt, dass niemand eine längere
Wegstrecke am Sabbat gehen dürfte außerhalb seines Besitzes.
Es wird berichtet, dass einige Pharisäer deshalb vor dem
Beginn des Sabbats an verschiedenen Stellen ihres Wohnortes
und darüber hinaus Kleidungsstücke, Schuhe und ähnliches
verteilten. Wollten sie somit am Sabbat doch länger
unterwegs sein, als es im Gesetz erlaubt war, konnten sie
behaupten, sie gingen nur zu ihrem Besitztum.
Jesus verachtet zwar die Gesetze nicht, fasst sie aber im
Gebot der Gottes- und Nächstenliebe zusammen:
Jesus sagt in der Bergpredigt zu seinen Jüngern: "Ihr
sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder
die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn ich sage
euch wahrlich: Bis dass Himmel und Erde vergehen, wird nicht
vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom
Gesetz, bis dass es alles geschehe. Wer nun eines von diesen
kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird
der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und
lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich.
Denn ich sage euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit besser
als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr
nicht in das Himmelreich kommen."
(Evangelium nach Matthäus, Kapitel 4, die Verse 17-20)
Wie ernst Jesus das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe
nahm, erkennen wir an der Überlieferung von der Heilung
eines Menschen mit einer verdorrten Hand: "Und er
(Jesus) ging abermals in die Synagoge. Und es war dort ein
Mensch, der hatte eine verdorrte Hand. Und sie lauerten
darauf, ob er auch am Sabbat ihn heilen würde, damit sie ihn
verklagen könnten. Und er sprach zu dem Menschen mit der
verdorrten Hand: Tritt hervor! Und er sprach zu ihnen: Soll
man am Sabbat Gutes tun oder Böses tun, Leben erhalten oder
töten? Sie aber schwiegen still. Und er sah sie ringsum an
mit Zorn und war betrübt über ihr verstocktes Herz und
sprach zu dem Menschen: Strecke deine Hand aus! Und er
streckte sie aus; und seine Hand wurde gesund. Und die
Pharisäer gingen hinaus und hielten alsbald Rat über ihn mit
den Anhängern des Herodes, wie sie ihn umbrächten."
(Evangelium nach Markus, Kapitel 3, die Verse 1-6)
Kurs vor dieser Überlieferung spricht Jesus den deutlichen
Satz aus:
"Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, und
nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist des Menschen
Sohn ein Herr auch über den Sabbat."
(Markus 2, 27-28)
- Für Jesus war die Liebe und Barmherzigkeit wichtiger als
alle von den Pharisäern aufgestellten Verordnungen. Die
Pharisäer dagegen bezogen sich auf den Buchstaben des
Gesetzes. Ihn wollten sie erfüllen. Dass dadurch Menschen
betroffen wurden, die in großer Not waren, konnten oder
wollten sie nicht wahrhaben.
- Jesus lehrte mit Vollmacht (im wahrsten Sinne des
Wortes; Gott hatte ihn dazu befähigt, ihm die Gewalt
übertragen) und nicht wie die Schriftgelehrten.
Zur Zeit Jesu gab es noch weiter religiöse Strömungen von
Bedeutung. Zum Teil sind sie uns auch aus den Neuen Testament
bekannt:
Für sie hatten nur die fünf Bücher Mose Gültigkeit, nicht das
ganze Alte Testament, wie für die Pharisäer. Diese Sadduzäer
waren das, was man heute konservativ nennen würde, das heißt sie
waren ausschließlich auf die Einhaltung des Überlieferten
bedacht. Die Totenauferstehung wurde von ihnen zum Beispiel
nicht anerkannt.
Als Herodes Agrippa I an die Macht gekommen war, ersetzte er
die höheren Priester durch eigene Günstlinge. Sie sind es dann,
die im Neuen Testament Sadduzäer genannt werden. Es sind ihrem
König treu ergebene Priester. Diese Sadduzäer üben auch die
Herrschaft im Tempel aus über alles, was mit dem Tempel zu tun
hat.
Den Essenern waren die Priester nicht gesetzestreu genug und
vom richtigen Glauben abgewichen. Deshalb zogen sie sich in die
Wüste zurück und versuchten dort, ihre Vorstellungen vom
richtigen Gottesdienst zu entwickeln.
Die Angehörigen der Gemeinschaft betrachteten sich selbst als
"gläubiger Rest" und erwarteten das unmittelbar bevorstehende
Ende der Geschichte. Zur ihren kultischen Handlungen gehörte
eine jährliche Gedenkfeier an den Bundesschluss und ein
regelmäßiges heiliges Mahl, in dem Brot und Wein die Elemente
darstellten.
Die Zeloten waren eine Sondergruppe der Pharisäer und hielten
die Gesetze genauso streng wie diese. Im Unterschied zu den
Sadduzäern, die sich mit der römischen Besatzungsmacht
gutstellten, wollten die Zeloten die Römer, wenn es sein musste,
auch mit Gewalt aus ihrem Land vertreiben und die Herrschaft
Gottes in Israel aufrichten.
Edwin Suckut
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