Einführung in das Neue Testament

Teil 5

Jesus und seine Auseinandersetzung mit den Pharisäern

Die wohl wesentlichsten Unterschiede zwischen Jesus und den Pharisäern waren:

  1. Für die Pharisäer galt, dass Gottes Wille in einer Vielzahl von Einzelgeboten ausgesprochen worden war, die sie genauestens einzuhalten hatten.
    Merkwürdig an dieser Haltung ist dann jedoch, dass sie den Willen Gottes in gewisser Weise pervertierten. Sie erfanden Umwege und Schliche, um die Gesetze in ihrer Schärfe doch nicht einhalten zu müssen.
    Dazu ein Bespiel:
    Das Sabbat-Gebot besagt, dass niemand eine längere Wegstrecke am Sabbat gehen dürfte außerhalb seines Besitzes. Es wird berichtet, dass einige Pharisäer deshalb vor dem Beginn des Sabbats an verschiedenen Stellen ihres Wohnortes und darüber hinaus Kleidungsstücke, Schuhe und ähnliches verteilten. Wollten sie somit am Sabbat doch länger unterwegs sein, als es im Gesetz erlaubt war, konnten sie behaupten, sie gingen nur zu ihrem Besitztum.
    Jesus verachtet zwar die Gesetze nicht, fasst sie aber im Gebot der Gottes- und Nächstenliebe zusammen:
    Jesus sagt in der Bergpredigt zu seinen Jüngern: "Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn ich sage euch wahrlich: Bis dass Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis dass es alles geschehe. Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich.
    Denn ich sage euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit besser als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
    "
    (Evangelium nach Matthäus, Kapitel 4, die Verse 17-20)
    Wie ernst Jesus das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe nahm, erkennen wir an der Überlieferung von der Heilung eines Menschen mit einer verdorrten Hand: "Und er (Jesus) ging abermals in die Synagoge. Und es war dort ein Mensch, der hatte eine verdorrte Hand. Und sie lauerten darauf, ob er auch am Sabbat ihn heilen würde, damit sie ihn verklagen könnten. Und er sprach zu dem Menschen mit der verdorrten Hand: Tritt hervor! Und er sprach zu ihnen: Soll man am Sabbat Gutes tun oder Böses tun, Leben erhalten oder töten? Sie aber schwiegen still. Und er sah sie ringsum an mit Zorn und war betrübt über ihr verstocktes Herz und sprach zu dem Menschen: Strecke deine Hand aus! Und er streckte sie aus; und seine Hand wurde gesund. Und die Pharisäer gingen hinaus und hielten alsbald Rat über ihn mit den Anhängern des Herodes, wie sie ihn umbrächten."
    (Evangelium nach Markus, Kapitel 3, die Verse 1-6)
    Kurs vor dieser Überlieferung spricht Jesus den deutlichen Satz aus:
    "Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist des Menschen Sohn ein Herr auch über den Sabbat."
    (Markus 2, 27-28)
  2. Für Jesus war die Liebe und Barmherzigkeit wichtiger als alle von den Pharisäern aufgestellten Verordnungen. Die Pharisäer dagegen bezogen sich auf den Buchstaben des Gesetzes. Ihn wollten sie erfüllen. Dass dadurch Menschen betroffen wurden, die in großer Not waren, konnten oder wollten sie nicht wahrhaben.
  3. Jesus lehrte mit Vollmacht (im wahrsten Sinne des Wortes; Gott hatte ihn dazu befähigt, ihm die Gewalt übertragen) und nicht wie die Schriftgelehrten.

Zur Zeit Jesu gab es noch weiter religiöse Strömungen von Bedeutung. Zum Teil sind sie uns auch aus den Neuen Testament bekannt:

Die Priesterschaft

Für sie hatten nur die fünf Bücher Mose Gültigkeit, nicht das ganze Alte Testament, wie für die Pharisäer. Diese Sadduzäer waren das, was man heute konservativ nennen würde, das heißt sie waren ausschließlich auf die Einhaltung des Überlieferten bedacht. Die Totenauferstehung wurde von ihnen zum Beispiel nicht anerkannt.

Als Herodes Agrippa I an die Macht gekommen war, ersetzte er die höheren Priester durch eigene Günstlinge. Sie sind es dann, die im Neuen Testament Sadduzäer genannt werden. Es sind ihrem König treu ergebene Priester. Diese Sadduzäer üben auch die Herrschaft im Tempel aus über alles, was mit dem Tempel zu tun hat.

Die Essener

Den Essenern waren die Priester nicht gesetzestreu genug und vom richtigen Glauben abgewichen. Deshalb zogen sie sich in die Wüste zurück und versuchten dort, ihre Vorstellungen vom richtigen Gottesdienst zu entwickeln.

Die Angehörigen der Gemeinschaft betrachteten sich selbst als "gläubiger Rest" und erwarteten das unmittelbar bevorstehende Ende der Geschichte. Zur ihren kultischen Handlungen gehörte eine jährliche Gedenkfeier an den Bundesschluss und ein regelmäßiges heiliges Mahl, in dem Brot und Wein die Elemente darstellten.

Die Zeloten

Die Zeloten waren eine Sondergruppe der Pharisäer und hielten die Gesetze genauso streng wie diese. Im Unterschied zu den Sadduzäern, die sich mit der römischen Besatzungsmacht gutstellten, wollten die Zeloten die Römer, wenn es sein musste, auch mit Gewalt aus ihrem Land vertreiben und die Herrschaft Gottes in Israel aufrichten.

Edwin Suckut

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